Videoverhandlung

Keine Nahaufnahme? Kein Verstoß gegen Recht auf gesetzlichen Richter

Kann die Neutralität der Richter nicht visuell geprüft werden, verstößt das aber möglicherweise gegen das Recht auf rechtliches Gehör, so das BVerfG.

14.02.2024Rechtsprechung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, in der zwei Prozessparteien die fehlende Möglichkeit der Nahaufnahme von den Gesichtern der Richterinnen und Richter im Rahmen einer Videoverhandlung moniert hatten. Dies verstoße zumindest nicht gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG). Dieses garantiere nur Schutz vor einem tatsächlich voreingenommenen Richter – nicht aber Schutz vor der fehlenden Überprüfbarkeit. Möglicherweise aber könnte in diesem Fall das Recht auf ein faires Verfahren verletzt sein – hierzu hatten die Beschwerdeführer aber nicht ausreichend vorgetragen
(Beschl. v. 15.01.2024, Az. 1 BvR 1615/23).

Die späteren Beschwerdeführer hatten die Videoverhandlung in einem Finanzgerichtsprozess sogar selbst beantragt. Auch während der Verhandlung hatten sie nicht moniert, dass die Kamera nur die die gesamte Richterbank in der Totalen abbildete. Mangels einer von ihnen steuerbarer Zoomfunktion sahen sie sich jedoch später der Möglichkeit beraubt, die Unvoreingenommenheit der Richterinnen und Richter durch einen Blick ins Gesicht zu überprüfen. Vor dem BVerfG hatten sie persönlich mit ihrem Vortrag zwar keinen Erfolg – aber ihre Verfassungsbeschwerde hat einiges an Rechtsklarheit gebracht.

BVerfG: Recht auf faires Verfahren möglicherweise verletzt

Den beanstandeten Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verneinte das BVerfG zwar und führte hierzu aus: Nur die unrichtige Besetzung bzw. der tatsächlich befangene Richter begründe eine Verletzung dieses Rechts. Nicht aber die fehlende Möglichkeit von deren (rechtzeitiger) Überprüfung aufgrund eines fehlende Nahblicks und der damit einhergehenden Unsicherheit, ob Verhalten oder Gestik und Mimik für eine Befangenheit sprechen könnten. Der Schutz des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG könne nicht in den Bereich bloß möglicher Verletzungen vorverlagert werden.

Allerdings könne gegebenenfalls das Recht auf ein faires Verfahren verletzt werden. Allgemein sagte das BVerfG hierzu: Es sei „durchaus denkbar“, dass dieses Recht es gebiete, eine hinreichende Überprüfungsmöglichkeit betreffend die Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank für die Beteiligten zu gewährleisten. Auch sei nicht auszuschließen, dass die Beobachtungsmöglichkeiten bei Videoverhandlungen nach derzeitigem Stand durchaus eingeschränkt sein und hinter der Beobachtungsmöglichkeit bei Anwesenheit vor Ort zurückbleiben könnten. Dies insbesondere, wenn aus der Distanz gefilmt werde und damit die gesamte Richterbank erscheine. Oder aber weil es die räumlichen Gegebenheiten bzw. die Qualität der Technik nicht anders zuließen.

Allerdings hatten die Beschwerdeführer eine Verletzung dieses Rechts überhaupt nicht gerügt. Ausgehend von ihrem konkreten Vortrag sei dessen Verletzung außerdem auch nicht in Betracht gekommen, so das BVerfG. So hätte es auch sein können, dass es letztlich vor allem an der eigenen technischen Ausstattung der Beschwerdeführer gefehlt habe. Schließlich hätten sie das Problem in der Verhandlung nicht beanstandet und somit auch den Grundsatz der Subsidiarität nicht gewahrt.