Studie zu rückläufigen Eingangszahlen der Zivilgerichte veröffentlicht
Dass die Zahlen der bei Amts- und Landgerichten in Zivilsachen eingehenden Verfahren seit Jahren rückläufig sind, ist bekannt. Eine vom Bundesjustizministerium beauftrage Studie hat die Ursachen dafür erforscht. Der Ende April vorgelegte Abschlussbericht nennt die wesentlichen Gründe und gibt rechtspolitische Empfehlungen.
Die Zahlen der bei Amts- und Landgerichten in erster Instanz neu eingehende Verfahren sind seit Jahren rückläufig. Um die Ursachen hierfür zu ergründen, hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) im September 2020 ein umfangreiches Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben.
Die Untersuchung wurde von der InterVal GmbH zusammen mit Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich und Prof. Dr. Armin Höland (beide Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) sowie der früheren Präsidentin des Kammergerichts Monika Nöhre durchgeführt. In dem beratenden Beirat des Forschungsvorhabens war neben Vertreterinnen und Vertretern aus Rechtswissenschaft, Landesjustizverwaltungen und Verbänden auch die BRAK vertreten. Schatzmeister Michael Then nahm diese Aufgabe wahr.
Die Entwicklung der Eingangszahlen wurde in dem Forschungsprojekt statistisch näher untersucht. Zudem wurden Gerichtsakten ausgewertet und neben der Bevölkerung und Verbänden betroffener Gruppen auch Unternehmen und Unternehmensverbände sowie Anwaltschaft und Richterschaft befragt. Ergänzende Daten wurden bei Rechtsschutzversicherern und Schlichtungsstellen erhoben.
Als wesentliche Gründe für den Rückgang der Eingangszahlen nennt der Abschlussbericht:
- Geschäftsaktivitäten und private Kontakte sind komplexer und schneller geworden. Damit ist das Interesse an vorbeugenden und konsensualen Konfliktlösungen (z.B. durch AGB-Gestaltung, Vorkasse, unternehmensinternes Beschwerdemanagement) gestiegen.
- Prozesse werden insbesondere von Privatpersonen häufig als psychisch belastend, zeitaufwendig und unwirtschaftlich wahrgenommen. Deshalb werden zunehmend die Angebote von Dienstleistern (z.B. Legal Tech-Anbieter) genutzt.
- Der Beratungspraxis kommt eine wichtige Filterfunktion zu. Anwältinnen und Anwälte raten häufiger als früher von einem gerichtlichen Vorgehen ab. Auch Rechtsschutzversicherungen schränken ihre Deckungszusagen ein. Der Gang zu Gericht wird so zunehmend zur ultima ratio.
- Einzelne justizorganisatorische Faktoren schmälern die Attraktivität des Zivilprozesses; dazu gehören etwa die im Vergleich zur Anwaltschaft oftmals geringere Spezialisierung, die schleppende Digitalisierung und der häufige Richterwechsel.
Die Befragung von Anwältinnen und Anwälten ergab, dass die Klageaktivität der Anwaltschaft und die Klagebereitschaft der Mandantschaft in den letzten 10-15 Jahren zu etwa gleichen Teilen zurückgingen oder gleich blieben; Berichte von gestiegener Klageaktivität bilden die deutliche Ausnahme. Als Hauptfaktoren beschrieben die Anwältinnen und Anwälte die Kosten und die Dauer gerichtlicher Verfahren sowie unsichere Erfolgsaussichten und (teilweise damit zusammenhängend) Probleme in der Justizorganisation. Es sei eine Unzufriedenheit der Anwältinnen und Anwälte mit der Justiz sichtbar geworden. Zudem sei als mögliche Ursache für den Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten der Verlust von Vertrauen der Bevölkerung in die staatliche Justiz angeführt worden.
Als rechtspolitische Empfehlungen formuliert der Bericht:
- Die Schaffung eines Angebots für die Durchsetzung von Forderungen oberhalb der Bagatellgrenze, die dennoch nicht hochwertig genug sind, um anwaltliche Beratung und gerichtliche Durchsetzung lohnenswert zu machen;
- die Schaffung von wirtschaftlicher Expertise und fachlicher Spezialisierung in der Richterschaft, um bei komplexen, höherwertigen Forderungen Augenhöhe mit fachlich spezialisierten Anwältinnen und Anwälten zu erreichen;
- die Schaffung eines Angebots für die gesammelte Geltendmachung von gleichartigen, „konfektionierbaren“ Forderungen, für die bislang ein staatliches Angebot fehlt;
- einheitliche und einfache Möglichkeiten zur Klage, beginnend mit der Einzahlung von Gerichtskosten über die Kommunikation mit den Gerichten bis hin zur digitalen Teilnahme an mündlichen Verhandlungen;
- die stärkere Strukturierung des Prozessstoffs bei gleichartigen Forderungen durch Einsatz von Digitalisierung sowie die Möglichkeit, derartige Verfahren zusammenzuführen und gemeinsam zu verhandeln und zu entscheiden.
Die BRAK wird sich in ihren Fachausschüssen intensiv mit den verschiedenen im Abschlussbericht angesprochenen Aspekten auseinandersetzen.
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