Abschiebehaft

BVerfG rügt Festnahmen vor richterlicher Haftanordnung

Das BVerfG hebt drei Entscheidungen zur Abschiebungshaft auf – Festnahmen ohne richterliche Anordnung verletzten das Grundrecht auf Freiheit.

04.11.2025Gesetzgebung

Das BVerfG hat mehrere Festnahmen im Vorfeld von Abschiebungshaft für verfassungswidrig erklärt. Die Betroffenen waren alle ohne vorherige und in einem Fall ohne unverzüglich nachgeholte richterliche Anordnung festgenommen worden. In zwei Fällen habe es zudem an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Ingewahrsamnahme gefehlt. Damit liege ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Freiheit der Person Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 und 2 GG vor (Beschl. v. 04.08.2025 und 05.08.2025, Az. 2 BvR 329/22, 2 BvR 330/22 und 2 BvR 1191/22).

Geplante Festnahmen ohne richterliche Entscheidung

In allen drei Verfahren ging es um Festnahmen im Zusammenhang mit einer geplanten Abschiebung. Die betroffenen Personen – eine slowakische Staatsangehörige sowie zwei Personen aus Eritrea – wurden jeweils vor oder ohne rechtzeitige richterliche Anordnung inhaftiert. Ihre Verfahren vor den ordentlichen Gerichten waren erfolglos geblieben.

Im Verfahren I (2 BvR 329/22) hatte die zuständige Ausländerbehörde bereits ab Mitte August 2020 konkrete Maßnahmen zur Abschiebung der slowakischen Frau getroffen. Ein Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft wurde am 19. August gestellt. Dennoch wurde sie am 25. August festgenommen, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein richterlicher Beschluss vorlag. Erst nach der Festnahme erfolgte die richterliche Anhörung und die Anordnung der Haft.

Im zweiten Verfahren II (2 BvR 330/22) wurde ein eritreischer Staatsangehöriger am Freitagnachmittag des 5. April 2019 in Gewahrsam genommen. Eine richterliche Entscheidung wurde erst am folgenden Samstag getroffen. Die Behörden beriefen sich darauf, dass eine richterliche Entscheidung am Freitag nach 15 Uhr, wegen des Endes der Geschäftszeiten, nicht mehr möglich gewesen sei.

Ein ähnliches Vorgehen zeigte sich im Verfahren III (2 BvR 1191/22): Die eritreische Staatsangehörige wurde am 28. November 2017, gegen 14:30 Uhr, festgenommen und etwa eine Stunde später dem Amtsgericht vorgeführt. Dort wurde gegen 15:45 Uhr die Haft angeordnet. Auch hier war die Haftanordnung von der Ausländerbehörde bereits vorab beantragt worden. Dennoch wurde sie festgenommen, ohne dass ein gerichtlicher Beschluss vorgelegen hätte.

Keine Abschiebehaft ohne vorherigen bzw. unverzüglich nachgeholten Richterbeschluss

Die drei Verfassungsbeschwerden der betroffenen Personen waren nun erfolgreich. Eine Freiheitsentziehung bedürfe grundsätzlich einer vorherigen richterlichen Anordnung. Eine nachträgliche Entscheidung sei nur zulässig, wenn der verfolgte Zweck andernfalls nicht erreichbar wäre. Für diese Frage sei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Ausländerbehörde eine Haftanordnung frühestmöglich hätte erwirken können. Daraus folge, dass von der Ausländerbehörde konkret geplante Freiheitsentziehungen regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anordnung bedürften. Diese Grundsätze seien in allen drei Fällen nicht eingehalten worden, sodass bei allen drei Personen das Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzt sei.

Die Festnahmen in den Verfahren I und III seien unzulässigerweise ohne vorherige richterliche Anordnung erfolgt. „Gefahr im Verzug“, die eine behördliche Ingewahrsamnahme ohne vorherigen richterlichen Beschluss gestattet hätte, habe in beiden Fällen nicht vorgelegen, so das BVerfG. Warum die Amtsgerichte, bei denen die jeweiligen Anträge der Ausländerbehörden zuvor eingingen, vor den geplanten Festnahmen keine Beschlüsse erließen, sei zudem von den Fachgerichten weder aufgeklärt worden, noch sonst erkennbar. Eine richterliche Entscheidung über den jeweiligen Haftantrag wäre vor der Festnahme jedenfalls möglich gewesen. Im Fall der eritreischen Frau sei außerdem irrelevant, dass lediglich eine Stunde nach ihrer Festnahme ein richterlicher Beschluss vorgelegen habe. Der Richtervorbehalt unterliege keiner zeitlichen „Marginalitätsschwelle“.

Eine nachträgliche richterliche Entscheidung sei zudem unverzüglich nachzuholen. "Unverzüglich" sei dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden müsse. Im Verfahren II sei zwar eine gerichtliche Entscheidung eingeholt worden, jedoch nicht unverzüglich nach der Festnahme, sondern erst einen Tag später. Der bloße Hinweis auf das Ende der Geschäftszeiten um 15 Uhr am Freitag habe jedenfalls nicht ausgereicht. Allgemeine Dienstzeiten gebe es für Richterinnen und Richter nicht. Die Organisation der Gerichte müsse sicherstellen, dass richterliche Entscheidungen zwischen 6 und 21 Uhr erreichbar seien. Die Gerichte hätten jedoch nicht dargelegt, welche Maßnahmen das Regierungspräsidium ergriffen hatte, um noch am Freitag einen Haftrichter zu erreichen, und ob am Amtsgericht eine verfassungskonforme Organisation zur Richtererreichbarkeit bestand.

Keine taugliche Ermächtigungsgrundlage

Zudem sah das Gericht in zwei der drei Fälle – konkret bei den eritreischen Betroffenen – einen weiteren Verfassungsverstoß: Es habe an einer gesetzlichen Grundlage für die Ingewahrsamnahme gefehlt.

Im Verfahren II hatten sich die Behörden bei der „Anordnung der vorläufigen Gewahrsamnahme“ auf die Vorschriften der EU-Aufnahmerichtlinie in Verbindung mit der EU-Rückführungsrichtlinie gestützt. Dies sei aber rechtswidrig, so das BVerfG. Zwar könnten Regelungen in EU-Richtlinien in bestimmten Fällen – wenn Mitgliedstaaten die entsprechende Regelung nicht fristgerecht umgesetzt haben und soweit die fragliche Vorschrift inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist – unmittelbare Wirkung im Verhältnis zwischen Staat und Einzelnem entfalten. Allerdings nur, wenn es darum geht, Rechte des Einzelnen zu begründen. Der Mitgliedstaat, der die unzureichende oder verspätete Umsetzung verantworten muss, sei wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben hingegen daran gehindert, auf Grundlage einer nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien-Vorschrift gegen den Einzelnen vorzugehen.

Auch stellte die Vorschrift des § 62 Abs. 5 AufenthG a.F. keine taugliche Rechtsgrundlage für die Festnahmen der beiden eritreischen Betroffenen dar. Denn diese Regelung ermöglichte den Behörden zwar eine vorläufige Ingewahrsamnahme von ausreisepflichtigen Ausländern zur Vorbereitung der Sicherungshaft. Dies gelte aber lediglich zum Zwecke der Vorbereitung der Haft zur Sicherung der Abschiebung im Sinne des § 62 Abs. 3 AufenthG a.F. Demgegenüber seien die Voraussetzungen für die Überstellungshaft in Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung zum Zeitpunkt der jeweiligen Festnahme abschließend in Normen geregelt, welche durch § 62 Abs. 5 AufenthG a.F. aber gerade nicht in Bezug genommen wurden. Daher sei ein Rückgriff auf § 62 Abs. 5 AufenthG a.F. ausgeschlossen gewesen.