Absoluter Revisionsgrund

BGH hebt Mordurteil wegen Besorgnis der Befangenheit auf

Die „heimliche“ Kommunikation zwischen Vorsitzender und Staatsanwaltschaft ohne Kenntnis der Verteidigung führte zur Besorgnis der Befangenheit.

28.04.2025Rechtsprechung

Der BGH hat das Mordurteil des LG Traunstein im sogenannten Fall „Hanna“ wegen eines absoluten Revisionsgrundes aufgehoben (§ 338 Nr. 3 Alt. 2 StPO). Die Vorsitzende Richterin hatte sich mit der Staatsanwaltschaft über zentrale Aspekte des Tatgeschehens per E-Mail ausgetauscht, ohne dies der Verteidigung mitzuteilen. Der anschließende Antrag, die Vorsitzende wegen Besorgnis der Befangenheit auszuschließen, hätte nicht abgelehnt werden dürfen (Beschl. v. 01.04.2025, Az. 1 StR 434/24).

In der Nacht zum 3. Oktober 2022 begegnete der zur Tatzeit 20-jährige Angeklagte in Aschau im Chiemgau zufällig der Studentin Hanna W., die sich auf dem Heimweg von der Diskothek „Eiskeller“ befand. Der Angeklagte griff sie unvermittelt an, stieß sie zu Boden und schlug ihr mit einem stumpfen Gegenstand mehrfach gegen den Kopf, um ihren Widerstand für geplante sexuelle Handlungen zu brechen. Nachdem er ihr Jacke und Hose auszog, ließ er aus Furcht vor einer späteren Identifizierung von seinem ursprünglichen Vorhaben ab. Um die Tat zu verdecken, schleppte er die bewusstlose Frau in den durch Hochwasser stark angeschwollenen Bärbach, wo sie binnen weniger Minuten ertrank. Das LG Traunstein verurteilte den Angeklagten wegen Mordes aus Verdeckungsabsicht in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von neun Jahren.

Verdeckte Kommunikation zwischen Vorsitzender und Staatsanwaltschaft

Dem Urteil vorangegangen war allerdings ein E-Mail-Austausch zwischen der Vorsitzenden und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der Anfang Januar 2024 stattfand – nach weit fortgeschrittener Beweisaufnahme. Darin diskutierten sie intensiv über die rechtliche und tatsächliche Einordnung der Tat. Die Vorsitzende bezog sich dabei ausdrücklich auf Aussagen eines Mithäftlings, der Täterwissen des Angeklagten bezeugt hatte, und formulierte, auf welche Delikte sie ihre rechtlichen Hinweise stützen wolle. In der Hauptverhandlung erteilte sie lediglich den Hinweis, der Angeklagte könne wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit oder Tateinheit mit Mord in Verdeckungsabsicht oder mit Totschlag verurteilt werden. Die Mails erwähnte sie nicht. Erst im Februar 2024 entdeckte die Anwältin des Angeklagten die E-Mails zufällig in einem Sonderband.

Die Verteidigung stellte daraufhin Befangenheitsanträge gegen alle drei Berufsrichter. Die Strafkammer wies den Antrag – unter Ausschluss der betroffenen Richterin – zurück. Das Urteil wurde dann unter ihrem Vorsitz gefällt. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Revision ein. Im Rahmen der Revision gab die Vorsitzende dann unaufgefordert noch vor Übersendung der Verfahrensakten vor dem Senat eine mehrseitige Stellungnahme ab, in der sie sich inhaltlich zur Erfolgsaussicht der Rüge äußerte.

Besorgnis der Befangenheit

Die Revision hatte mit einer Verfahrensrüge nun Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Ein Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin sei zu Unrecht abgelehnt worden, wie der 1. Strafsenat des BGH nun feststellte (§ 338 Nr. 3 Alt. 2). Das Verfahrensgeschehen sei geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vorsitzenden zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Sie habe daher am Urteil nicht mitwirken dürfen. Maßgeblich für die Besorgnis der Befangenheit sei nicht, ob die Richterin tatsächlich voreingenommen war, sondern ob beim Angeklagten aus objektiver Sicht die Besorgnis der Befangenheit habe entstehen könne. Dies sei hier der Fall gewesen.

Hier folge dies schon daraus, dass die Vorsitzende die E-Mails nicht schon bei Erteilung des Hinweises offengelegt hatte, obwohl dies zum Verständnis des Hinweises hätte beitragen können. Eine solch tiefe Erörterung von Sachverhalt und rechtlicher Wertung sei an sich der geheimen Kammerberatung vorzubehalten gewesen. Wenn der Inhalt der Überzeugungsbildung außerhalb der Gerichtsberatung mit einem Verfahrensbeteiligten in einer solchen Tiefe erörtert wird, sie dies regelmäßig sofort oder zumindest zeitnah gegenüber allen anderen Beteiligten offenzulegen, so der 1. Strafsenat.

Es hätte nicht einmal gereicht, den Mail-Verkehr zur Hauptakte zu nehmen, um sich zu entlasten. Denn es bleibe ungewiss, wann die anderen Verfahrensbeteiligten (erneut) die Hauptakten einsähen. Dass – aus welchem Grund auch immer – hier die E-Mails in einen Sonderordner gelangten, sei in jedem Fall unzureichend, so der BGH. Nach alledem habe für den Angeklagten der Eindruck entstehen können, die Vorsitzende habe sich heimlich an ihm vorbei ihre Überzeugung - auch durch Austausch von Argumenten allein mit der Staatsanwaltschaft - bilden wollen und sei damit nicht mehr neutral gewesen.

Nachträgliche Stellungnahme verstärkte den Eindruck der Befangenheit

Auch die nachträgliche Stellungnahme der Vorsitzenden im Revisionsverfahren ließ aus Sicht des BGH eine gebotene richterliche Zurückhaltung vermissen. Dieses Verhalten habe sogar noch die Bedenken gegen ihre Neutralität vertieft. Denn sie habe in der unaufgeforderten Stellungnahme umfangreich dargelegt, wie sie die Befangenheitsrüge einschätzt.

Dies entspreche aber nicht dem von § 347 Abs. 1 Satz 2, 3 StPO vorgesehenen Ablauf eines Revisionsverfahrens, so der BGH. Es sei dabei weder Aufgabe der Staatsanwaltschaft noch des Tatgerichts, die Erfolgsaussichten einer Verfahrensrüge zu würdigen.

Der BGH hob das Urteil des Landgerichts Traunstein vollständig auf und verwies das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer zurück.