BFH zur Videoverhandlung

Alle Beteiligten müssen zeitgleich zu sehen sein

Das Video eines Beteiligten darf nicht so in den Gerichtssaal projiziert werden, dass sich ein anderer um 180° drehen muss, um ihn zu sehen.

25.10.2023Rechtsprechung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Fall die Anforderungen an einer Videoverhandlung nach § 91a Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) konkretisiert: Jeder Beteiligte müsse zeitgleich die Richterbank und die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können. Daran fehle es jedenfalls dann, wenn ein im Gerichtssaal anwesender Beteiligter den zugeschalteten Beteiligten nur sehen kann, wenn er selbst sich 180 Grad dreht (Beschl. v. 18.08.2023, Az. IX B 104/22).

Diese ungünstige Position entstand in einem Verfahren am Finanzgericht (FG) Münster dadurch, dass das Bild des zugeschalteten Finanzbeamten hinter dem Geschäftsführer der Klägerin auf eine Wand projiziert worden war. Er hatte daher nur die Möglichkeit, entweder die Richterbank oder den Beamten anzuschauen. Zudem verpasste er es regelmäßig, den Beamten am Anfang eines Redebeitrags zu sehen, weil er sich immer erst umdrehte, wenn der andere anfing, zu sprechen. Daher sei es ihm nicht möglich gewesen sei, die Mimik und Gestik aller Teilnehmer der mündlichen Verhandlung zu beobachten. In der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin unter anderem diesen Umstand als Verfahrensfehler.

Alle Beteiligten müssen sich gegenseitig zeitgleich wahrnehmen können

Der BFH gab ihr nun Recht, hob das Urteil des FG Münster auf und verwies die Sache zurück. Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei hier verletzt. Dieser umfasse auch das Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung, bei der die Verfahrensbeteiligten in der Lage sein müssten, sich über den gesamten Verfahrensstoff zu informieren. Das Geschehen müsse daher vollständig übermittelt werden. Der Bildausschnitt dürfe sich deshalb nicht auf einzelne Beteiligte – etwa den Vorsitzenden – beschränken. Verbale und nonverbale Äußerungen müssten wie bei persönlicher Präsenz wahrnehmbar sein.

Unter Umständen wie in diesem Fall sei nicht ausgeschlossen, dass dem Geschäftsführer der Klägerin Einzelheiten, zum Beispiel in Mimik und Gestik der Vertreter des Finanzbeamten oder der Richter, entgangen sein können. Auch eine mögliche nonverbale Kommunikation zwischen einem Beteiligten und der Richterbank hätte nicht wahrgenommen werden können. Zudem sei zu berücksichtigen, dass durch das wiederholte Hin- und Herschauen möglicherweise die Gefahr bestanden habe, dass der Geschäftsführer abgelenkt wurde und deshalb seine Konzentration auf den Prozessstoff beeinträchtigt war.