BVerfG: Abgelehnte Rehabilitierung verletzt Verfahrensgrundrechte
Ein Antrag auf DDR-Rehabilitierung wurde vorschnell abgelehnt, ein Befangenheitsantrag auch – das hielt vor dem BVerfG nicht.
Das BVerfG sah in einem abgelehnten Antrag auf Rehabilitierung wegen einer Verurteilung in der DDR sowie wegen Besorgnis der Befangenheit gleich mehrere Verstöße gegen grundrechtliche Verfahrensgarantien: Die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (Beschl. v. 09.04.2025, Az. 2 BvR 1298/24).
LG Meiningen will ausbleibende Stellungnahme als Antragsrücknahme deuten
Ein ehemaliger DDR-Bürger beantragte beim LG Meiningen im Jahr 2021 die strafrechtliche Rehabilitierung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz) wegen einer Verurteilung aus dem Jahr 1973: Damals war er als 16-Jähriger wegen Diebstahls zu neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Vorbestraft war er davor nicht. Die Haftbedingungen seien unverhältnismäßig streng gewesen. Die Jugendhilfe hatte damals gesagt, er habe eine „negative Haltung“ gezeigt und „politische Zusammenhänge“ nicht erkannt. Er sah in der strengen Verurteilung eines Jugendlichen daher eine politische Motivation und außerdem ein grobes Missverhältnis zu den Taten. Eine später aufgefundene Akte zeigte, dass es um acht Einbruchsdiebstähle in vier Monaten gegangen war, mit einem Gesamtschaden von 558,50 DDR-Mark.
Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, die Aktenlage lasse keine politische Verfolgung erkennen. Die Strafe entspreche der damaligen Praxis bei jugendlichen Mehrfachtätern. Der Vorsitzende Richter der zuständigen Kammer des LG übermittelte die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft an den Antragsteller mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Kammer diese Auffassung teile. Zudem wurde angekündigt, das Verfahren bei ausbleibender Stellungnahme als Antragsrücknahme zu werten. Gleichzeitig wurde erklärt, dass ein Rechtsmittel nicht zulässig sei, sollte der Antrag verworfen werden.
Der Mann reagierte hierauf mit einem Ablehnungsgesuch gegen sämtliche Mitglieder der Kammer. Er machte geltend, die Kammer habe sich bereits endgültig festgelegt, die angedeutete Rücknahmefiktion sei gesetzlich nicht vorgesehen und die Hinweise zur Unanfechtbarkeit seien unzutreffend. Insgesamt erwecke das gerichtliche Schreiben den Eindruck, der Antragsteller solle zu einer Rücknahme seines Antrags gedrängt werden. Das LG wies das Ablehnungsgesuch jedoch als unzulässig zurück. Es sei verspätet eingereicht worden, außerdem fehle ein Ablehnungsgrund. Auch den Rehabilitierungsantrag wies es zurück. Die Entscheidung sei unanfechtbar.
Eine dennoch eingereichte Beschwerde dagegen verwarf das Thüringer OLG als unzulässig in Bezug auf die Ablehnung des Antrags auf strafrechtliche Rehabilitation und als unbegründet im Hinblick auf die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs.
Verstoß gegen gesetzlichen Richter
Auf die Verfassungsbeschwerde des Mannes hin hat das BVerfG nun entschieden, dass sowohl die Entscheidung des LG Meiningen als auch die des Thüringer OLG mehrfach gegen Verfahrensgarantien verstoßen hätten.
Die Verwerfung des Befangenheitsgesuchs durch das Landgericht Meiningen als „unzulässig“ stufte das BVerfG als Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters ein (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß seien bei Ablehnungen wegen Unzulässigkeit überschritten, wenn das Antragsvorbringen eine materielle Prüfung erfordert hätte. Ein Befangenheitsantrag könne nur dann als unzulässig verworfen werden, wenn dessen Begründung nach jedem rechtlichen Maßstab völlig ungeeignet sei.
Eine solche Ungeeignetheit sah das BVerfG hier nicht. Das Gesuch sei hier weder verspätet erhoben worden noch fehle es offensichtlich an einem Ablehnungsgrund. Der pauschale Hinweis des Gerichts, die Entscheidung sei im Fall der Verwerfung des Antrags unanfechtbar, sei zumindest auslegungsbedürftig und rechtfertige eine vertiefte Prüfung im Ablehnungsverfahren. Auch die angedrohte Rücknahmefiktion für den Fall ausbleibender Äußerung zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft sei nicht gesetzlich vorgesehen. Der Versuch, aus dem Schweigen des Antragstellers eine Rücknahme herzuleiten, sei offensichtlich nicht von der Gesetzeslage gedeckt und könne begründeten Anlass zu Zweifeln an der Unparteilichkeit der Richter geben. Beide Hinweise, so das Bundesverfassungsgericht, seien geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Das Thüringer OLG habe die Grundrechtsverletzung fortgeschrieben, indem es die Beschwerde dagegen zurückwies, ohne sich vertieft mit der Bedeutung und Tragweite der Garantie des gesetzlichen Richters auseinanderzusetzen.
Verletzung des rechtlichen Gehörs und des effektiven Rechtsschutzes
Das LG Meiningen habe außerdem das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Ex-DDR-Bürgers verletzt. Denn es habe „entscheidungserheblichen Vortrag des Antragstellers übergangen“, indem es seinen Rehabilitierungsantrag ersichtlich nur am Maßstab des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG (grobes Missverhältnis der Strafe zur Tat) geprüft habe. Der Antrag sei jedoch unbeschränkt formuliert gewesen und enthalte auch Bezüge zum Rehabilitierungstatbestand der politischen Verfolgung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG). Eine vollständige Entscheidung hätte daher die Prüfung sämtlicher Tatbestände des § 1 Abs. 1 StrRehaG erfordert. Auch das Thüringer OLG habe diesen Gehörsverstoß perpetuiert, indem es trotz Rüge im Beschwerdeverfahren eine eigene Sachprüfung unterließ.
Weil das OLG verkannt habe, dass die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Rehabilitierungsantrags zumindest teilweise statthaft gewesen sei und sich insoweit einer Sachprüfung verstellt habe, habe es zudem den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. Es hätte zumindest den Teil des Antrags prüfen müssen, der sich auch auf den Rehabilitierungsgrund der politischen Verfolgung stützte.
Die Entscheidungen wurden aufgehoben, die Sache an das LG Meiningen zurückverwiesen.