Gehörsverletzung

BGH: Falsch geführte E-Akte führt zu Urteilsaufhebung

Nutzen Zivilgerichte die Möglichkeit eines sog. „Protokollurteils“, müssen sie viele Vorschriften beachten, wenn das Urteil halten soll.

27.06.2024Rechtsprechung

Missachtet ein Zivilgericht die Formvorgaben für ein „Protokollurteil“ (insbes. §§ 540, 313a ZPO), so kann ein solches Urteil den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen. Der BGH fand in einem Verfahren, in dem die Akte elektronisch geführt wurde, nun sehr viele Verletzungen dieser Formvorschriften – und verwies den Fall zurück ans Berufungsgericht (Beschl. v. 14.05.2024, AZ. VIII ZR 15/24).

Im Rahmen einer mietrechtlichen Zahlungs- und Räumungsklage hatte das LG Stuttgart die Berufung großteilig zurückgewiesen (Urt. v. 26.01.2023, Az. 5 S 110/22). Die zu dem Verfahren gehörige Akte wurde elektronisch geführt. Die mitwirkenden Richter signierten das Urteil, das lediglich Rubrum und Entscheidungsformel enthielt, am Ende der Sitzung mit elektronischer Signatur. Es wurde darauf hingewiesen, dass auf die Darstellung des Tatbestands und die ausführlichen Entscheidungsgründe verzichtet wurde, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil eindeutig unzulässig ist und der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe bereits im Protokoll der mündlichen Verhandlung festgehalten wurde. Das vorläufig aufgenommene Protokoll enthielt dann kurze rechtliche Erwägungen. Das Sitzungsprotokoll wurde aber erst nach Fertigstellung als elektronisches Dokument allein von der Vorsitzenden Richterin signiert. Zudem waren darin die Namen der Parteien nur mit einem Kurzrubrum angegeben.

Das Sitzungsprotokoll und das Urteil waren in der Gerichtsakte jeweils als gesonderte elektronische Dokumente vorhanden, nicht jedoch miteinander verbunden. Die Beklagte rügte daraufhin die Verletzung mehrerer Formvorschriften – und bekam nun Recht vor dem BGH. Die Entscheidung verletze den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör.

Das LG habe die Voraussetzungen der §§ 313a Abs. 1, § 540 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 ZPO missachtet: Das Urteil sei zunächst nicht mit einem formgerechten Sitzungsprotokoll verbunden. Es lasse daher nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit dem Vorbringen der Beklagten in der Berufungserwiderung befasst habe.

BGH: Berufungsgericht missachtete viele Formvorschriften

Das Berufungsurteil enthalte entgegen § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO keinerlei Tatsachenfeststellungen zu den ersten beiden Instanzen. Dieser Mangel sei nicht durch das Sitzungsprotokoll behoben worden. Bereits darin liege ein Verstoß gegen § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Es stimme auch nicht, dass gegen das Berufungsurteil unzweifelhaft kein Rechtsmittel statthaft sei – dies sei aber Voraussetzung, um von Tatsachenfeststellungen abzusehen. Aus diesem Grund hätten die Richter auch nicht auf die rechtliche Begründung verzichten dürfen.

Die vom Berufungsgericht in das Sitzungsprotokoll aufgenommenen rechtlichen Erwägungen seien dabei nicht zu berücksichtigen. Diese seien weder Bestandteil des am Schluss der Sitzung verkündeten Berufungsurteils geworden, noch erfülle das Sitzungsprotokoll für sich betrachtet die Anforderungen an ein (eigenständiges) Protokollurteil im Sinne des § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Ein Protokollurteil müsse alle nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO erforderlichen Bestandteile enthalten, von den mitwirkenden Richtern unterschrieben und mit dem Sitzungsprotokoll verbunden sein. Insoweit reiche es nicht aus, wenn die Richter die Urteilsformel unterschreiben, dieses Schriftstück aber erst viel später mit dem Sitzungsprotokoll verbunden werde. Vielmehr müsse das - aus mehreren Teilen bestehende - Protokollurteil schon im Zeitpunkt seiner Unterzeichnung durch die mitwirkenden Richter in vollständiger Form abgefasst sein. Hier aber sei das Sitzungsprotokoll zunächst nur vorläufig aufgezeichnet und erst nachfolgend als elektronisches Dokument erstellt worden. Zudem fehle es - bis heute - an der Verbindung von Sitzungsprotokoll und Urteil. Der Hinweis im Berufungsurteil auf das Sitzungsprotokoll genüge hierfür nicht. Die Verbindung beider Urkunden könne auch nicht mehr nachgeholt werden, weil seit der Verkündung des Berufungsurteils mehr als fünf Monate verstrichen sind.

Das Sitzungsprotokoll erfülle schließlich auch für sich betrachtet nicht die Anforderungen an ein Prozessurteil. Es enthalte weder die erforderlichen Darlegungen nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO noch sämtliche nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO erforderlichen Angaben. Die Parteien seien im Sitzungsprotokoll mit der Nennung lediglich ihrer Familiennamen nicht ausreichend bezeichnet. Die Urteilsformel sei im Sitzungsprotokoll nicht enthalten; dort werde lediglich auf "den entscheidenden Teil" des aus einer Anlage zum Protokoll ersichtlichen Urteils verwiesen. Zudem sei das Sitzungsprotokoll allein von der Vorsitzenden Richterin signiert worden anstelle von allen mitwirkenden Richtern.