AfD verliert vor BVerfG

GG gewährt keinen Anspruch auf Ausschuss-Vorsitz im Bundestag

Die AfD hat kein Recht darauf, den Vorsitz in Bundestagsausschüssen zu stellen. Ihre Kandidaten müssen weder gewählt noch geduldet werden.

21.09.2024Rechtsprechung

Das BVerfG hat anhand von zwei Organklagen der AfD-Fraktion ein einstimmiges Grundsatzurteil zu den Rechten der Bundestags-Abgeordneten auf Gleichbehandlung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG im Spannungsverhältnis zur Geschäftsautonomie des Bundestages gem. Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG gefällt: Demnach hätten Fraktionen kein Recht auf Besetzung eines Ausschuss-Vorsitzes. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten dürften bei der Wahl zum Vorsitzenden durchfallen bzw. auch nach der Wahl wieder abgewählt werden. Dies sei Ausdruck der Geschäftsautonomie des Bundestages; auch in ihrer konkreten Anwendung fand das BVerfG keine Fehler (Urt. v. 18.09.2024, Az. 2 BvE 10/21, Az. 2 BvE 1/20).

Allerdings habe das BVerfG hier nur einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab und könne nur untersuchen, ob das Willkürverbot verletzt worden sei – was die Karlsruher Richterinnen und Richter verneinten. Denn bei der Frage nach dem Posten des Ausschussvorsitzes gehe es nicht um spezifisch mitgliedschaftliche Grundrechte der Abgeordneten, die das BVerfG voll hätte überprüfen können. Allein entscheidend sei die Frage, ob die Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) – als Ausdruck der Selbstverwaltung des Bundestages - fair und loyal angewendet worden sei.

AfD-Kandidaten scheitern bei Wahlen, Brandner wird abgewählt

Das BVerfG hatte zwei Anträge der AfD-Fraktion miteinander verbunden, weil es in beiden Verfahren um zentrale Fragen rund um den Vorsitz von Bundestagsausschüssen ging.

Im Jahr 2017, in der 19. Wahlperiode, wurde die AfD zum ersten Mal in den Bundestag gewählt. In drei Ausschüssen (Haushalt, Tourismus und Recht) stellten AfD-Abgeordnete den Vorsitz, der Rechtsanwalt und Abgeordnete Stephan Brandner im Rechtsausschuss. Allerdings wurde er mit den Stimmen der Nicht-AfD-Abgeordneten mehrheitlich wieder abgewählt – zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestages. Danach leitete der Stellvertreter den Vorsitz im Ausschuss. Bis heute sind es außerdem Stellvertreter, welche in der aktuellen 20. Wahlperiode die Ausschüsse Innen, Gesundheit und Entwicklung leiten. Denn bei den konstituierenden Wahlen erhielt kein AfD-Kandidat die erforderliche Mehrheit.

Aufgrund dieser beiden Sachverhalte sah die AfD-Fraktion sich in ihren Rechten auf Gleichbehandlung als Fraktion, auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung und auf effektive Opposition verletzt. Sie klagte vor dem BVerfG sowohl gegen die genannten Ausschüsse als auch gegen den Bundestag sowie die Präsidentin und das Präsidium des Bundestages.

BVerfG: Bundestagsausschüsse haben nicht willkürlich gehandelt

Einzig die Anträge gegen die Ausschüsse erachtete das BVerfG jedoch als zulässig. Die übrigen Antragsgegner könnten im Organstreitverfahren nicht verklagt werden, weil sie die angegriffenen Maßnahmen – die Nicht-Wahl bzw. Abwahl – nicht zu verantworten hätten. Allerdings seien die Anträge der AfD im Übrigen unbegründet.

Zwar garantiere Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Befugnisse zur gleichberechtigten Mitwirkung an der Willensbildung und Entscheidungsfindung des Bundestages. Daraus ergebe sich grundsätzlich auch, dass Ausschüsse ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und eine möglichst getreue Abbildung der Stärke der im Plenum vertretenen Fraktionen widerspiegeln sollten. Dieser Grundsatz gelte jedoch nicht für Gremien und Funktionen, die lediglich organisatorischer Art seien – so wie eben die Leitungsämter in diesen Ausschüssen. Die Rolle des Ausschuss-Vorsitzenden liege in der Organisation und Vorbereitung der Sitzungen, außerdem in der Repräsentation. Er habe aber keinen stärkeren Einfluss auf die Willensbildung als jedes andere Ausschussmitglied. Daher handele es sich bei dem Zugang zum Amt des Ausschussvorsitzes nicht um ein spezifisch mitgliedschaftliches Recht, welches das BVerfG anhand von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG hätte überprüfen können. Es gebe damit kein Recht auf Besetzung von Ausschussvorsitzen.

Der Prüfungsmaßstab des BVerfG beschränke sich außerdem darauf, ob der Bundestag die im Rahmen seiner Geschäftsautonomie (Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG) die GOBT nicht sachwidrig bzw. willkürlich, sondern fair und loyal ausgelegt bzw. angewendet hat.   

Zu den (Nicht-)Wahlen

Das Recht der AfD auf Gleichbehandlung sei zunächst nicht dadurch verletzt, dass ihre Kandidaten bei der Wahl zum Ausschussvorsitz konsequent durchgefallen sind und bis heute kein AfD-Abgeordneter den Vorsitz in einem Ausschuss stellt.

Die GOBT halte hier in den §§ 12, 58 den Rahmen für ein Verfahren vor, das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. In der Praxis läuft das Verfahren so ab: Zunächst versuchen die Fraktionen, sich zu einigen, welche Fraktion welchen Ausschussvorsitz erhalten soll. Gelingt eine solche Einigung nicht, werden die Ausschussvorsitze im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Bevor die AfD Einzug in das Parlament hielt, konnten sich die Fraktionen meist ohne offizielle Wahl auf einen Vorsitzenden einigen. Auch wenn das Verfahren hierzu nicht in der GOBT geregelt ist, greifen die Ausschüsse hier traditionell zu Mehrheitswahlen.

Im Hinblick auf diese Wahlen sagte das BVerfG nun: Eine solche Wahl könne nur eine „freie Wahl“ sein. „Wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe“, wäre dies mit einer freien Wahl „unvereinbar“. Keine Fraktion habe das „Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis“. Sonst würde der sonst „mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert“ nicht erreicht.

Zur Abwahl eines Vorsitzenden

Ausschüsse seien außerdem zur Abwahl des einmal gewählten Vorsitzenden grundsätzlich befugt. Die Abwahl sei als „Actus contrarius“ zur ursprünglichen Wahl auch ohne ausdrückliche Regelung in der GOBT zulässig. Verfassungsrechtlich sei das Amt des Ausschussvorsitzenden nicht in einer Weise geschützt, die einer Abberufung entgegenstehe.

Allerdings müssten bei der Abwahl zur Vermeidung von Willkür folgende Grundsätze eingehalten werden – was hier allerdings der Fall gewesen sei:

  • Dem Abgewählten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, sodass das Recht auf ein faires Verfahren gewahrt worden sei.
  • Es reiche dann eine einfache Mehrheit für die Abwahl – hier hatte es 37 Ja-Stimmen gegen 6 Nein-Stimmen gegeben.
  • Die Gründe für die Abwahl müssten einen sachlichen Zusammenhang zu der Befähigung des Vorsitzenden, sein Amt in angemessener Weise auszuüben, erkennen lassen. Hier habe Brandner sich mehrfach so verhalten, dass die (Fach-)öffentlichkeit sehr irritiert gewesen sei. Dadurch habe die Mehrheit im Ausschuss das Vertrauen in den Vorsitzenden und seine Fähigkeit zur amtsangemessenen Amtsführung verloren. „Eine gedeihliche und effektive Zusammenarbeit im Ausschuss war damit aus ihrer Sicht nicht mehr möglich“, so das BVerfG. Weitere konkrete Ausführungen dazu, welche Gründe es für eine Abwahl geben müsste, machten die Verfassungsrichterinnen und -richter jedoch nicht, da dies wiederum in die Geschäftsautonomie des Bundestages fallen dürfte.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Johannes Fechner, kündigte infolge des Urteils eine Ergänzung der Geschäftsordnung an. Künftig sollten darin klare Regeln für die Abwahl von Ausschuss-Vorsitzenden und außerdem von Schriftführern im Präsidium geschaffen werden.