Rechtliches Gehör

BVerfG hebt AG-Urteil zu Inkassokosten auf

Ein Amtsgericht ignorierte das rechtliche Vorbringen der Beklagten zu Inkassokosten fast gänzlich. Das vernachlässige ihre Grundrechte, so das BVerfG.

10.07.2023Rechtsprechung

Der in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, dass Gerichte den Kern des Parteivorbringens beachten, wenn dieses für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden. Ein Schweigen des Gerichts lasse hingegen den Schluss zu, dass der Vortrag nicht (hinreichend) beachtet wurde - sofern dieser nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (Beschl. v. 07.06.2023, Az. 2 BvR 2139/21).

Den entsprechenden Fehler hatte hier das Amtsgericht (AG) Sinzig gemacht. Es hatte über einen Rechtsstreit zwischen einem Mobilfunkunternehmen und einer Kundin zu entscheiden. Nach Abschluss eines Vertrags im Laden die Kundin es sich zuhause anders und focht den Vertrag an, außerdem berief sie sich auf dessen Sittenwidrigkeit. Man habe sie schlecht beraten, sie brauche die Leistungen überhaupt nicht. Mehrfach betonte sie, dass sie nicht zahlen werde. Dennoch beauftragte der Anbieter ein Inkassounternehmen, um die Forderung beizutreiben – erfolglos. Im anschließenden Gerichtsverfahren unterlag sie vollumfänglich – auch die Inkassokosten sollte sie zahlen, wenn auch wegen späterer Rechtsanwaltskosten in reduziertem Umfang. Auch die Berufung ließ das AG nicht zu. Dabei hatte die Kundin in ihren Schriftsätzen mehrfach – sogar gefettet - auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen, wonach Inkassoforderungen nicht zu zahlen seien, wenn die Forderung von Anfang an bestritten gewesen sei. Eine Anhörungsrüge wies das AG ebenfalls zurück mit der Begründung, es hab den Vortrag zwar berücksichtigt, jedoch „anders bewertet“.

BVerfG: „Generelle Vernachlässigung der Grundrechte durch das AG“

Die dagegen eingereichte Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg und führte zur Aufhebung des Urteils sowohl im Hinblick auf die Inkassokosten als auch auf die Nichtzulassung der Berufung und wurde an das AG zurückverwiesen. Dadurch sei auch der Beschluss über die Anhörungsrüge in diesem Umfang gegenstandslos, so das BVerfG. Die Entscheidungen des Gerichts hätten das Recht der Frau aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Direkt zu Anfang des Beschlusses schreibt das BVerfG folgende deutlichen Worte: „Die knappen Begründungen des Amtsgerichts (…) deuten auf eine generelle Vernachlässigung der Grundrechte durch das Amtsgericht hin und sind geeignet, juristisch unerfahrene Personen davon abzuhalten, um Rechtsschutz nachzusuchen.“

Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebiete es, dass das entscheidende Gericht auch Rechtsausführungen von Parteien zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen müsse. Davon sei zwar grundsätzlich auszugehen – nicht aber, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machten, dass ein Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Zwar habe ein Gericht bei der Abfassung der Urteilsgründe gewisse Freiheiten. Wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei aber den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, bestehe für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lasse hingegen den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde. Zumindest dann, wenn der Vortrag nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert gewesen sei.

Diesen Maßstäben sei das Urteil des AG nicht gerecht geworden: Obwohl die Frau ihre Rechtsausführungen mehrfach vorgebracht hatte, sei das AG darauf nicht eingegangen. Das wäre aber mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG notwendig gewesen. Schließlich hatte die Frau ihre Ausführungen in das Zentrum ihres Vortrages gerückt und dieser Vortrag sei für den Prozessausgang in Bezug auf die eingeklagten Inkassokosten eindeutig von entscheidender Bedeutung gewesen. Unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht dürften tatsächlich keine Inkassounternehmen eingeschaltet werden, wenn die mögliche Schuldnerin die Forderung bestritten hat. Dies gelte nur dann nicht, wenn der Gläubiger aufgrund besonderer Gründe darauf habe vertrauen dürfen, dass der Schuldner ohne gerichtliche Hilfe leisten werde oder wenn die Einwendungen offensichtlich unbegründet gewesen seien und nur dem Hinhalten hätten dienen sollen. Eine solche Situation habe hier jedoch ferngelegen und hätte jedenfalls einer vertieften Begründung bedurft, an der es indes fehlte.