BGH-Grundsatzurteil zu Zwangs-Entsperrung des Smartphones
BGH entscheidet umstrittene Frage: Es ist zulässig, das Smartphone eines Beschuldigten durch zwangsweises Auflegen seines Fingers zu entsperren.
Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung beschlossen, dass Ermittlungsbeamte Beschuldigte zwingen können, ihren Finger auf ihr Smartphone zu legen, um an die darauf gespeicherten Daten zu kommen. Die zwangsweise Entsperrung könne auf § 81b Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO als Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, sofern der beabsichtigte spätere Datenzugriff verhältnismäßig sei. Außerdem müsse die Entsperrung dazu dienen, eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung zu ermöglichen, die gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen diene. Doch selbst, wenn die Beweismittelgewinnung nicht rechtmäßig wäre, sieht der BGH noch keine Grundlage für ein Beweisverwertungsverbot (Beschl. v. 13.03.2025, Az. 2 StR 232/24).
Entsperrung des Smartphones mit Fingerabdruck gegen den Willen des Beschuldigten
Der Angeklagte hatte bereits früher in Kindertagesstätten kinderpornographische Aufnahmen eines zweijährigen Mädchens angefertigt. Bei einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung hatte man über 2.300 kinderpornographische Fotodateien und ein entsprechendes Video auf seinen Geräten gefunden. Das LG München I verurteilte ihn 2019, u.a. wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften, zu einem Jahr Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich sprach es gegen den Angeklagten ein lebenslanges Berufsverbot in Berufen aus, in denen er mit Kindern und Jugendlichen zu tun hätte. Während der Corona-Pandemie wurde der Verurteilte jedoch wieder als privater Babysitter tätig und nutzte dies auch aus, um wieder kinderpornographisches Bild- und Videomaterial anzufertigen.
Aufgrund des Verdachtes eines Verstoßes gegen das Berufsverbot gemäß § 145c StGB ordnete der Ermittlungsrichter des AG Köln gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 StPO u.a. die Durchsuchung der Wohnung an – insbesondere mit dem Ziel, Mobiltelefone zu finden, über die der Mann online nach Betreuungs-Stellen gesucht hatte. Tatsächlich wurden die Beamten fündig. Da der Mann allerdings nicht freiwillig die Telefone entsperren wollte, legten die Beamten ihm zwangsweise den Finger auf den Sensor, um die Sperre aufzuheben. Bei der nachfolgenden Auswertung wurde das kinderpornographische Material gefunden, das später zu seiner erneuten Verurteilung führte: Zwei Jahre und sechs Monate wegen Verstoßes gegen das Berufsverbot sowie Herstellung und Besitzes kinderpornographischen Materials (LG Köln, Urt. v. 22.12.2023, Az 103 KLs 12/23).
Bereits im Rahmen der Verhandlung widersprach der Verteidiger der Erhebung und Verwertung dieser Beweise. Mit seiner späteren Revision rügte er die Verletzung des § 261 StPO und berief sich auf ein Beweisverwertungsverbot. Für die Entschlüsselung der beiden Mobiltelefone durch polizeiliche Zwangsmaßnahmen existiere keine Rechtsgrundlage. Der Angeklagte sei dadurch in seiner Selbstbelastungsfreiheit sowie in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren und auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden. Mit dieser Ansicht stellte er sich auf eine bislang in der Literatur vielfach vertretene Auffassung in einer bislang umstrittenen Rechtsfrage. Viele Gerichte hatten allerdings bislang entschieden, dass § 81b Abs. 1 StPO (erkennungsdienstliche Maßnahmen bei dem Beschuldigten) als Rechtsgrundlage allein für die Entsperrung eines Mobiltelefons ausreiche (zuletzt das OLG Bremen, (Beschl. v. 08.01.2025, Az. 1 ORs 26/24).
BGH: Eingriff in Grundrechte ist gedeckt
Der BGH traf nun anlässlich dieses Falles eine Grundsatzentscheidung: Er erachtete die Maßnahme basierend auf § 81b Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 94 ff. StPO als Ermächtigungsgrundlage als rechtmäßig und lehnte ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich ab.
Die Maßnahme unterfalle zwar dem Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2016/680 zum Schutz personenbezogener Daten im Strafverfahren. Die zwangsweise Entsperrung eines Smartphones mittels Fingerabdruck stelle auch einen (besonders) schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG) sowie in die von Art. 7 und 8 GRC (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens bzw. Recht auf Schutz personenbezogener Daten) verbürgten Grundrechte dar. Die Eingriffsintensität folge hier daraus, dass die Behörden mit dem Zugriff auf das Smartphone regelmäßig eine Vielzahl an vertraulichen und höchstpersönlichen Daten erhielten. Dies lasse Schlüsse auf politische, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen zu; auch Verhaltens- und Kommunikationsprofile würden ermöglicht.
Die besondere Eingriffsintensität stehe der Rechtmäßigkeit jedoch nicht grundsätzlich entgegen. Vielmehr entspreche die Maßnahme zur Ahndung einer Straftat grundsätzlich einer anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GRC. Zudem dürften die Behörden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nur die Daten verarbeiten, die unter Berücksichtigung der Schwere des Tatvorwurfs als angemessen erscheinen. Überschießende und vertrauliche, für das Verfahren bedeutungslose Informationen müssten „im Rahmen des Vertretbaren“ vermieden werden.
Anders als der Betroffene es noch ausgeführt hatte, sieht der BGH jedoch keinen Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit. Diese schütze lediglich vor der aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung, nicht aber vor dem Dulden von Ermittlungsmaßnahmen.
81b StPO als Ermächtigungsgrundlage
Ermächtigungsgrundlage für diese Maßnahme sei § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO (so auch OLG Bremen, Beschl. v. 08.01.2025, Az. 1 ORs 26/24; LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023, Az. 2 Qs 9/23 jug., AG Baden-Baden, Beschl. v. 13.11.2019, Az. 9 Gs 982/19). Den Gegenstimmen in der Literatur, die einwenden, eine solche Maßnahme sei mit den in § 81b Abs. 1 StPO erfassten Maßnahmen nicht vergleichbar und es brauche eine speziellere Ermächtigungsgrundlage, folgte der Senat nicht.
Nach dem Wortlaut des § 81b Abs. 1 StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Das Auflegen des Fingers zum Entsperren des Smartphones sah der BGH als „ähnliche Maßnahme“ im Sinne der Norm, die dazu diene, biometrische Daten festzustellen und mit bereits gespeicherten abzugleichen.
Dass der Gesetzgeber solche Maßnahmen ersichtlich nicht im Blick hatte, stehe der Anwendung der Norm auf diese Maßnahme nicht entgegen. Auch nach seinem Sinn und Zweck sei § 81b Abs. 1 StPO nicht auf bestimmte erkennungsdienstliche Maßnahmen beschränkt. Es gehe nur offen um die „Durchführung des Strafverfahrens“ - also auch um solche Maßnahmen, die allgemein zum Beweis der Schuld oder Unschuld des Beschuldigten dienten. Diese Offenheit diene gerade dazu, dem jeweiligen Stand der Technik angepasste Maßnahmen zu erlauben.
Spätere Durchsicht und Speicherung basiert auf anderen Ermächtigungsgrundlagen
Es sei auch unproblematisch, dass § 81b Abs. 1 StPO weder auf bestimmte (schwere) Straftaten beschränkt ist, noch den Zugriff auf die Daten erfasse, sondern nur zur Entsperrung ermächtige. Denn der spätere Zugriff bzw. die Sicherung der im Smartphone gespeicherten Daten erfolgten auf Grundlage von § 110 Abs. 1 und 3, § 94 Abs. 1 und 2 StPO (Durchsicht und Beschlagnahme). Es handele sich um nachfolgende Maßnahmen, die selbstständig an den für sie geltenden Regeln gemessen werden könnten. Diese Regeln enthielten auch eine strenge Begrenzung der Verarbeitung so gewonnener Daten auf den Zweck der Aufklärung der konkreten Tat. Zudem erfolge hier regelmäßig eine vorherige Prüfung durch einen Ermittlungsrichter bzw. eine -richterin.
Schließlich sei dieser Zugriff auf die Datenträger durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Dabei sei im Einzelfall zu prüfen, ob die Schwere der Straftat den besonderen Grundrechtseingriff rechtfertige. Relevant sei außerdem der Grad des Tatverdachtes, wie bedeutend die auf dem Mobiltelefon vermuteten Daten zu Beweiszwecken seien und ob die in Rede stehenden Straftaten mittels eines Mobiltelefons begangen oder angebahnt wurden. Stehe die zu ermittelnde Straftat hingegen in keinem Bezug zum Mobiltelefon und/oder den darauf zu vermutenden Daten, sei deshalb auch die vorherige Entsperrung unzulässig. Gleiches gelte, wenn die Entsperrung aus anderen Gründen unter Berücksichtigung der Schwere der Straftat und der Erfordernisse der Untersuchung nicht gerechtfertigt sei.
Ausgehend hiervon hätten die Beamten im konkreten Fall in zulässiger Weise das Smartphone des Beschuldigten zwangsweise entsperrt. Schließlich hatte der Mann gerade über das Smartphone nach Betreuungsverhältnissen gesucht. Dass der Durchsuchungsbeschluss nicht ausdrücklich eine Maßnahme nach § 81b Abs. 2 StPO vorsah, sei unschädlich. Denn mit der Entscheidung, dass die Durchsuchung dem Auffinden von Mobiltelefonen bzw. der auf diesen gespeicherten Daten dienen solle, habe der Ermittlungsrichter den Zugriff auf das Mobiltelefon gebilligt – egal, mit welchen Mitteln.
Ohnehin hätte sich auch aus einer rechtswidrigen zwangsweisen Entsperrung kein Beweisverwertungsverbot ergeben, so der BGH weiter. Dass Verstöße gegen Beweiserhebungsvorschriften zu Beweisverwertungsverboten führen, sei die Ausnahme und komme nur bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen in Betracht. Im konkreten Fall sei jedenfalls für die Durchsicht und die Beschlagnahme der auf dem Smartphone gespeicherten Daten mit § 110 Abs. 1 und 3, § 94 StPO eine gesetzliche Grundlage vorhanden.