Benachteiligungsverbot

BAG erklärt Entschädigung nach AGG für zwingend

Aus einem Verstoß gegen das AGG folgt immer auch ein Entschädigungsanspruch. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers komme es nicht an, so das BAG.

21.02.2022Rechtsprechung

Stellt ein Gericht einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) fest, so kann es nicht von einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG absehen, so das Bundesarbeitsgericht (BAG). Allerdings sei es möglich, nachträglich mittels eines Aufhebungsvertrags auf den Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG zu verzichten (Urt. v. 28.10.2021, Az. 8 AZR 371/20).

Liegt im fehlenden Überstundenausgleich eine Diskriminierung?

Der Entscheidung zugrunde lag die Klage einer Pflegerin, die zuvor in Teilzeit bei einem Dialyseanbieter gearbeitet hatte. Während ihrer Beschäftigung sammelte sie knapp 226 Überstunden an, die auf Basis eines bestehenden Tarifvertrags eigentlich hätten ausgeglichen werden müssen. Ihr ehemaliger Arbeitgeber zahlte ihr jedoch weder einen Überstundenzuschlag noch gab er ihr die Möglichkeit eines Freizeitausgleichs.

Die Frau verklagte den Arbeitgeber deshalb zum einen auf eine entsprechende Zeitgutschrift, zum anderen auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Bruttomonatsverdiensten. Sie war der Ansicht, in der Weigerung, ihre Überstunden auszugleichen, liege eine verbotene Diskriminierung als Teilzeitbeschäftigte. Mittelbar werde sie zugleich wegen ihres Geschlechts benachteiligt, weil der Arbeitgeber überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftige.

Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hingegen bejahte das Vorliegen einer Diskriminierung. Es verpflichtete den Arbeitgeber, der Frau über die bereits angefallenen knapp 226 Überstunden weitere knapp 68 Überstunden gutzuschreiben. Dem Begehren einer immateriellen Geldentschädigung folgte das LAG hingegen nicht. Dies sei unangemessen, weil der Arbeitgeber bereits materiellen Schadensersatz habe leisten müssen. Zudem trage der Dialyseanbieter nur ein geringes Verschulden an dem Vorfall, der zur Klage geführt hatte (Urt. v. 19.12.2019, Az. 5 Sa 435/19).

Nach Zustellung dieses Urteils schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, in dem das Anstellungsverhältnis beendet wurde. Darin hieß es unter anderem: „Mit vollständiger Erfüllung dieses Aufhebungsvertrages sind sämtliche wechselseitige Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrunde, gleich ob bekannt oder unbekannt, abgegolten und erledigt.“

BAG rügt Vorinstanz – und weist die Klage dennoch ab

Im Ergebnis gab das BAG dem LAG zwar Recht, allerdings mit einer gänzlich anderen Begründung: Der Aufhebungsvertrag habe den möglicherweise zuvor entstandenen Anspruch zunichte gemacht.  An den Urteilsgründen der Vorinstanz übten die Bundesrichter des 8. Senats hingegen deutliche Kritik.

Das LAG habe nicht das Recht gehabt, von einer immateriellen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG abzusehen. Neben einem materiellen Schadensersatzanspruch sei der davon unabhängige Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zwingend. Dies ergebe sich aus den beiden Zwecken der Vorschrift, der geschädigten Person Genugtuung für ihre Rechtsverletzung zu verschaffen und zugleich den Arbeitgeber in Zukunft von ähnlichen Benachteiligungen abzuhalten. Auch ein geringer Verschuldensgrad des Arbeitgebers führe zu keiner anderen Bewertung, denn die Haftung nach § 15 Abs. 2 AGG sei verschuldensunabhängig. Umgekehrt könne allenfalls ein überdurchschnittlich hohes Maß an Benachteiligungsabsicht zugunsten des Arbeitgebers berücksichtigt werden.

Allerdings habe die Klägerin in dem nach der Entscheidung des LAG geschlossenen Aufhebungsvertrag endgültig auf ihrem möglicherweise zuvor entstandenen Anspruch verzichtet. Ein solches konstitutives negatives Schuldanerkenntnis verstoße auch nicht gegen § 31 AGG, wonach von den Vorschriften des AGG nicht zuungunsten der geschützten Personen abgewichen werden kann. Diese Vorschrift beziehe sich nur auf präventive Ausschlüsse von Ansprüchen, nicht aber auf die Möglichkeit, im Nachhinein auf bereits entstandene Ansprüche zu verzichten.

Die Pflegerin ging damit im Ergebnis zwar aufgrund ihrer eigenen Entscheidung leer aus – hat jedoch für die Zukunft immerhin zur Rechtsfortbildung zugunsten anderer Betroffener beigetragen.