Gesetzlicher Richter

BFH: Bei Nichtvorlage an EuGH nur Verfassungsbeschwerde möglich

Lehnt das letztinstanzliche Gericht eine EuGH-Vorlage ab, so ist gegen diese Entscheidung keine Nichtigkeitsklage zulässig – nur der Gang zum BVerfG.

08.11.2023Rechtsprechung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass eine Nichtigkeitsklage, mit der lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) geltend gemacht wird, nicht zulässig ist. Kläger, die der Auffassung sind, der BFH habe ihren Fall zu Unrecht nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung einer Unionsrechtsfrage vorgelegt und sie hierdurch ihrem gesetzlichen Richter entzogen, könnten unmittelbar mit einer Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anrufen. Sie müssen nicht zuvor noch eine Nichtigkeitsklage beim BFH erheben (Urt. v. 10.10.2023, Az. IX K 1/21).

Im Streitfall hatte ein ausländischer Sportwettenanbieter in dem vorhergehenden Gerichtsverfahren die Unionsrechtswidrigkeit und die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Sportwetten gerügt. Das Verfahren hatte weder beim Finanzgericht noch beim BFH Erfolg. Im Verfahren vor dem BFH rügte die Klägerin zahlreiche Verstöße gegen Unionsrecht und beantragte, das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Nachdem der BFH dem nicht gefolgt war und das Verfahren nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte (Urteil des BFH vom 17.05.2021, Az. IX R 20/18), erhob die Klägerin eine Nichtigkeitsklage. Der BFH habe in willkürlicher und nicht vertretbarer Weise seine Verpflichtung verletzt, Rechtsfragen dem EuGH vorzulegen. Dadurch sei sie in verfassungswidriger Weise ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden. Sie machte den Wiederaufnahmegrund der vorschriftswidrigen Besetzung des Senats im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) geltend.

BFH: Verfassungsbeschwerde auch ohne vorherige Nichtigkeitsklage möglich

Der BFH hat die Nichtigkeitsklage als unzulässig abgewiesen. Eine damit einhergehende Durchbrechung der Rechtskraft sei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig, die im Wortlaut der Vorschrift deutlich würden: Daher erfasse der von dem Sportwettenanbieter gerügte Grund der vorschriftswidrigen Besetzung des Senats nur Fehler, die die personelle Besetzung des erkennenden Spruchkörpers betreffen – etwa wenn das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt sei, z.B. bei Verstößen gegen die Geschäftsverteilung. Dagegen fielen die Fragen, ob der richtige Spruchkörper oder das richtige Gericht entschieden haben, nicht mehr in den Anwendungsbereich.

Die Vorschrift diene hingegen nicht dazu, eine im Ausgangsverfahren vom Gericht bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zur Überprüfung zu stellen. Die unterlassene Vorlage an das BVerfG oder den EuGH hingegen könnten nicht im Wege der Nichtigkeitsklage vorgebracht werden. Dabei sei unerheblich, ob die Beurteilung der Vorlageverpflichtung durch das Ausgangsgericht rechtlich zutreffend gewesen sei.  

Eine willkürliche Nichtbeachtung der Vorlagepflicht könne allerdings tatsächlich den Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzen kann (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz), und der EuGH sei gesetzlicher Richter für die Auslegung des Unionsrechts. Habe ein Kläger daher in einem Gerichtsverfahren die Vorlage an den EuGH angeregt und komme das letztinstanzliche Gericht dem nicht nach, könne er die nach seiner Auffassung vorliegende Verletzung der Vorlagepflicht unmittelbar im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde beim BVerfG rügen. Die Nichtigkeitsklage sei in diesem Fall gerade keine Voraussetzung für die Erschöpfung des Rechtswegs nach § 90 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Mit der Entscheidung werde der Weg zum BVerfG vereinfacht, so der BFH in seiner
Pressemitteilung.