Kollektiver Rechtsschutz

EU-Verbandsklagerichtlinie in Kraft – Deutschland hängt hinterher

Bis zum 25. Juni hätte Deutschland die Verbandsklagerichtlinie umsetzen müssen. Den Gesetzentwurf gibt es schon – doch wie ist der Stand der Dinge?

29.06.2023Gesetzgebung

Ab 25. Juni ist die EU-Verbandsklagenrichtlinie (2020/1828) in Kraft getreten. Spätestens bis zu diesem Zeitpunkt hätte in Deutschland sie eigentlich umsetzen und die neuen Regelungen anwenden müssen. Wobei die Frist zur Umsetzung sogar schon am 25. Dezember 2022 abgelaufen war und die EU-Kommission sogar schon ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte.

Den Entwurf für ein deutsches Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG), der u. a. ein neues Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) vorsieht, gibt es immerhin schon seit März. Dem Bundesrat ist der Entwurf auch sofort als besonders eilbedürftig zugeleitet worden. Die Bundesrechtsanwaltskammer begrüßte in ihrer Stellungnahme zum VRUG  grundsätzlich den Referentenentwurf, fand aber auch einige verbesserungsfähige bzw. ergänzungsfähige Regelungen. Ende April war die erste Lesung im Bundestag; im Mai fand die Anhörung im Rechtsausschuss statt, wobei die meisten Sachverständigen den Entwurf im Ganzen begrüßten und nur kleinere Änderungsvorschläge hatten. Doch rechtzeitig geschafft hat es Deutschland nicht. Noch immer befindet sich der Gesetzentwurf im Ausschussverfahren. Dabei ist noch unklar, ob das Thema überhaupt noch vor der Sommerpause am 1. Juli auf die Tagesordnung kommt.

Ein Überblick auf die Hintergründe

Durch rechtswidrige Geschäftspraktiken von Unternehmen (wie etwa dem Dieselskandal) wird regelmäßig eine große Anzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern geschädigt. Die Verbandsklagenrichtlinie vom 24. Dezember 2020 will Verbraucherinnen und Verbrauchern helfen, ihre Rechte in solchen Fällen noch effektiver gegen Unternehmen durchzusetzen. Qualifizierte Einrichtungen wie Verbraucherorganisationen sollen für sie bei Verstößen gegen verbraucherschützende EU-Vorschriften klagen können – und zwar direkt auf Schadensersatz, Reparatur, Vertragskündigung, Preisminderung oder Rückerstattung des gezahlten Preises.

Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, zwei Arten von Verbandsklagen entweder als gerichtliche oder behördliche Verfahren auszugestalten: Zum einen müssen Verbände das Recht haben, im eigenen Namen Unterlassungsklagen zu erheben, um Zuwiderhandlungen gegen Verbraucherrecht zu beenden. Zum anderen müssen sie sog. Abhilfeklagen erheben können, durch die Verbraucherrechte durchgesetzt werden können. Abhilfeentscheidungen ermöglichen den an der Klage teilnehmenden Verbrauchern Abhilfe zukommt, ohne dass sie eine gesonderte Klage erheben müssen.

Ein solches Rechtsinstrument der Abhilfeklage gibt es im deutschen Recht bislang nicht. Aktuell existiert in lediglich die Musterfeststellungsklage, durch die aber keine individuelle Leistung eingeklagt werden kann. Das Abhilfeverfahren soll mit dem neuen VDuG eingeführt werden, wobei sich Deutschland für ein ausschließlich gerichtliches Verfahren entschieden hat. Es soll neben die bereits bestehende Musterfeststellungsklage treten; die Regelungen für diese sollen in das VDuG integriert werden.

Ziel der geplanten deutschen Regelungen zur Verbandsklage ist es, Verbraucheransprüche einfacher zu klären und durchzusetzen, Unternehmen schnellere Rechtssicherheit zu bieten und die Justiz von massenhaften Einzelklagen zu entlasten. Kern des Gesetzentwurfs ist die Einführung der Abhilfeklage als einer neuartigen Klageform für Verbandsklagen. Das Instrument soll bei gleichartigen Leistungsansprüchen zur Geltung kommen. Neben dem Dieselskandal beispielsweise auch bei Fluggastrechten wegen der Annullierung desselben Fluges, Zinsnachzahlungsansprüche wegen massenhaft verwendeter unwirksamer Vertragsklauseln von Banken, unzulässigen Preisklauseln oder Produktmängeln.

Klageberechtigt sind nur qualifizierte Verbraucherverbände, die beim Bundesamt für Justiz registriert sind und bestimmte Anforderungen erfüllen – insbesondere dürfen sie keine eigenen finanziellen Interessen verfolgen. Damit sie klagen können, müssen mindestens 50 Verbraucherinnen und Verbraucher bzw. kleinere Unternehmen betroffen sein. Gemeint sind Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanz von weniger als zehn Millionen Euro. Die Betroffenen sollen sich bis zu zwei Monate nach dem ersten Termin des gerichtlichen Verfahrens noch im Verbandsklageregister anmelden können.   

Konkret soll sich das gerichtliche Abhilfeverfahren in drei Phasen gliedern: In der ersten Phase kann die klageberechtigte Stelle ein Abhilfegrundurteil erwirken. Dieses kann die Haftung des verklagten Unternehmens dem Grunde nach für gerechtfertigt erklären, Berechtigungsnachweise und - für den Fall von Zahlungsansprüchen - zugleich Parameter für die konkrete Berechnung der Verbraucheransprüche festlegen. Es folgt eine Vergleichsphase, in der die Parteien eine gütliche Einigung über die Abwicklung des Rechtsstreits anstreben sollen. Schließen die Parteien keinen wirksamen Vergleich, schließt sich eine dritte Phase an, die mit einem Abhilfeendurteil des Gerichts endet.

In dem darauffolgenden Umsetzungsverfahren prüft eine gerichtlich bestellte Sachwalterin bzw. ein Sachwalter selbständig, ob die einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher anspruchsberechtigt sind. Berechtigte Ansprüche werden unmittelbar erfüllt. Betroffene können aber weiterhin abgelehnte Ansprüche bzw. konkrete Einwendungen gegen einen Einzelanspruch in einem gerichtlichen Individualverfahren geltend machen.

Die damit einhergehende Entlastung der Justiz von Massenverfahren schätzt die Regierung als recht hoch ein: 15 dieser neuen Klagen gegen Unternehmen sollen geschätzte 22.500 Individualklagen ersetzen. Außerdem soll in § 148 Zivilprozessordnung eine neue Aussetzungsmöglichkeit für Fälle geschaffen werden, in denen mehrere Gerichte zu derselben Frage aufwändige Sachverständigengutachten einholen müssen.