ERV-Nutzungspflicht

Syndici als verantwortende Person bei Tätigkeit für einen Verband

Die Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) gilt für professionelle Einreicher, d.h. für Rechtsanwält:innen, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts (vgl. § 130d Satz 1 ZPO). Der Begriff „Rechtanwält:innen“ umfasst dabei niedergelassene Anwält:innen sowie grundsätzlich auch Syndikusrechtsanwält:innen.

03.02.2022Rechtsprechung

Der Gesetzgeber hat in § 46c Abs. 1 BRAO nämlich festgelegt, dass für Syndikusrechtsanwälte die Vorschriften für Rechtsanwälte gelten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Daher sind Syndici im Anwaltsverzeichnis eingetragen und erhalten nach § 31a Abs. 1 S. 1 BRAO auch ein beA (vgl. beA-Newsletter 45/2017).

Hinsichtlich der folgenden Konstellation haben sich in jüngster Zeit verschiedene Auffassungen herausgebildet: Eine Syndikusrechtsanwältin, die für einen Verband tätig ist, der gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 Alt. 2 ArbGG einen Arbeitgeber vertrat, hat in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Stuttgart einen Antrag auf Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. BetrVG gemäß § 81 Abs. 2 S. 1 ArbGG zurückgenommen. Den Schriftsatz, der die Rücknahme enthielt, hat sie nach § 46c Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ArbGG  dem Arbeitsgericht Stuttgart eigenhändig über ihr beA-Postfach, das für sie in ihrer Eigenschaft als Syndikusrechtsanwältin automatisch von der BRAK eingerichtet wurde, mit einfacher elektronischer Signatur (eeS) übersandt. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat in seinem Beschluss vom 15.12.2021 (4 BV 139/21) festgestellt, dass das von der Syndikusrechtsanwältin übermittelte elektronische Dokument damit ordnungsgemäß übermittelt wurde. Das beA-System habe einen vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) angebracht, der den Nachweis für das Versenden der Nachricht aus dem beA-Postfach der Syndikusrechtsanwältin bei deren persönlicher Anmeldung am beA darstelle. Somit liege ein Versenden der Nachricht auf einem sicheren Übermittlungsweg vor (vgl. zum VHN Beschluss des BAG vom 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 – Rn. 27 ff.).

In dieser Entscheidung setzt sich das ArbG Stuttgart dezidiert mit der in der Literatur diskutierten Frage auseinander, ob die versendende Syndikusrechtsanwältin „verantwortende Person“ im Sinne des § 46c Abs. 3 S. 1, 2. Alt. ArbGG sei und Schriftsätze aus ihrem beA über den sicheren Übermittlungsweg ohne qeS wirksam einreichen könne.

Eine in der Literatur vertretene Auffassung geht davon aus, dass Syndikusrechtsanwälte, die einen Verband vor Gericht vertreten (z.B. nach § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4, 5, S. 3 ArbGG), prozessual nicht selbst gegenüber dem Gericht handeln, sondern nur der Verband, für den sie tätig sind (Schrade/Elking, NZA 2021, 1675 (1678)). Eine echte Prozessvertretung durch den Syndikusrechtsanwalt sei in dieser Konstellation nicht gegeben. Demnach solle das ERV-Pflichtenprogramm des Verbands und nicht das des Syndikusrechtsanwalts gelten, was bedeute, dass für den Verband die Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) derzeit noch nicht bestehe. Nach dem Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5.10.2021 (S. 4613) tritt die aktive Nutzungspflicht für Verbände nämlich erst am 1.1.2026 in Kraft. Der Verband sei demzufolge noch nicht dazu verpflichtet, Schriftsätze elektronisch einzureichen. Bei elektronischer Einreichung solle möglichst ein elektronisches Gerichts- und Organisationenpostfach (eBO) des Verbands genutzt werden (s. zum eBO beA-Newsletter 12/2021). Der Syndikusrechtsanwalt könne auch sein beA verwenden; da aber versendende Person (Syndikusrechtsanwalt) und verantwortende Person (Verband) auseinanderfielen, müsse der Syndikusrechtsanwalt eine qeS anbringen. Das eigenhändige Senden einer Nachricht an ein Gericht aus seinem eigenen beA mit eeS, also dem geschriebenen Namen des Syndikusrechtsanwalts, führe nicht zu einer wirksamen Einreichung, da der Syndikusrechtsanwalt nicht „verantwortende Person“ im Sinne des § 46c Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ArbGG sei.

Nach Ansicht der oben zitierten Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Stuttgart sowie der wohl herrschenden in der Literatur vertretenen Meinung erscheine die Auffassung, der Syndikusrechtsanwalt handele als Verband, mit § 11 Abs. 2 Satz 3 ArbGG kaum vereinbar. Gemäß der Vorschrift handelten Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen seien, – mithin auch Verbände – durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragte Vertreter. § 46c Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BRAO schlössen für den Syndikusrechtsanwalt allgemein eine Vertretung seines Arbeitgebers im zivilrechtlichen Anwaltsprozess und vor den Landesarbeitsgerichten und dem Bundesarbeitsgericht aus. Diese Regelungen wären nicht notwendig, wenn es sich beim Auftreten von Syndici vor Gericht nicht um eine echte Prozessvertretung nach § 78 ZPO handeln würde. Daher könnten nach dieser Ansicht auch Syndikusrechtsanwälte bei der Verwendung ihres beA von der gesetzlich vorgesehenen Privilegierung der Nutzung des sicheren Übermittlungsweges Gebrauch machen (Heimann/Steidle, NZA 2021, 521 (524)). Es müsse für eine wirksame Einreichung eines Schriftsatzes an ein Gericht also keine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) angebracht werden, wenn der (Syndikus-)Anwalt als verantwortende Person die Nachricht selbst aus seinem eigenen beA sendet. Hintergrund ist, dass auf das „ERV-Pflichtenprogramm“ des Syndikusrechtsanwalts abgestellt wird. Dieser unterliege der seit dem 1.1.2022 geltenden aktiven ERV-Nutzungspflicht für Rechtsanwälte; ihm kämen aufgrund seiner Gleichstellung mit Rechtsanwälten aber auch die für die Anwaltschaft geltenden Privilegierungen zugute, so etwa der Verzicht auf das Anbringen einer qeS, wenn ein Schriftsatz selbst aus dem eigenen beA versendet wird und einfach elektronisch signiert ist.

Auch das Arbeitsgericht Stuttgart weist in seinem oben genannten Beschluss darauf hin, dass die gegenteilige Auffassung den Normzweck des § 46c Abs. 3 S. 1 ArbGG, d.h. die Sicherstellung von Authentizität und Integrität eines elektronischen Dokuments, nicht hinreichend beachte.

Wie soll sich ein für einen Verband tätiger Syndikusrechtsanwalt in dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht zur elektronischen Einreichung und der in der Literatur vertretenen Meinung, dass die Einreichung über den sicheren Übermittlungsweg unwirksam sei, nun verhalten, um das Risiko unwirksamer Einreichungen zu vermeiden? Das Einreichen per Post eines von einem Syndikusrechtsanwalt unterschriebenen Dokuments dürfte sich angesichts der vertretenen Pflicht zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr nicht empfehlen – allenfalls, wenn parallel eine elektronische Einreichung erfolgte. Also sollte der elektronische Weg zur Einreichung genutzt werden. Dazu steht das beA des Syndikusrechtsanwalts zur Verfügung. Um auf der sicheren Seite zu sein, dürfte es ein gangbarer Weg sein, bis zur abschließenden Klärung der Frage durch die Rechtsprechung rein vorsorglich eine qeS anzubringen, auch wenn ein Schriftsatz eigenhändig aus dem eigenen beA an ein Gericht gesandt wird.

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