BVerfG zu GFF-Beschwerde

Terrorismusabwehr: BKA-Gesetz teilweise verfassungswidrig

Das BVerfG hat erneut Befugnisse aus dem BKA-Gesetz für grundgesetzwidrig erklärt. Der Gesetzgeber muss bis Juli 2025 nachbessern.

09.10.2024Rechtsprechung

Das BVerfG hat einer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen das Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG) teilweise stattgegeben. Mehrere Befugnisse des BKA zur Terrorismusabwehr verstießen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Gericht erklärte konkret die gesetzlichen Überwachungsbefugnisse des BKA gegenüber bloßen Kontaktpersonen von potentiellen Straftätern (§ 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG) für verfassungswidrig. Außerdem ging es um die Speicherung und die Nutzung von Informationen im polizeilichen Informationsverbund INPOL, einer gemeinsamen föderalen Datenplattform der Polizeibehörden des Bundes und der Länder zum Austausch von Daten (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BKAG). Hier fordert Karlsruhe klare Grenzen bei der Speicherungs-Schwelle sowie Vorgaben zur Speicherdauer. Allein die Tatsache, einmal als „Beschuldigter“ geführt worden zu sein, dürfe nicht ausreichen, um in einer bundesweiten Datenbank geführt zu werden. Der Gesetzgeber hat nun Zeit, die Vorgaben bis spätestens zum 31. Juli 2025 umzusetzen – bis dahin gelten sie mit gewissen Einschränkungen durch das BVerfG fort (Urt. v. 01.10.2024, Az. 1 BvR 1160/19).

Die GFF vertrat mehrere Beschwerdeführende, die auf diesen Befugnisnormen basierenden Maßnahmen ausgesetzt waren – darunter Rechtsanwältinnen, ein politischer Aktivist und Mitglieder der organisierten Fußball-Fanszene.  

Heimliche Überwachung von Kontaktpersonen

Die erste beanstandete Befugnisnorm, § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG, erlaubt es dem BKA bislang, zur Abwehr von Terrorismus heimlich Personen zu überwachen, gegen die selbst kein Verdacht terroristischer Aktivitäten besteht, die aber in einem Näheverhältnis zu einer verantwortlichen Person stehen (Kontaktpersonen). Dabei ist der Einsatz besonderer in § 45 Abs. 2 BKAG aufgeführter Mittel erlaubt, zum Beispiel längerfristige Observationen oder der Einsatz von Vertrauenspersonen und von verdeckt Ermittelnden.

Diese Regelung greife in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen ein, so das BVerfG. Heimliche Überwachung setze schon gegenüber der verantwortlichen Person eine wenigstens „konkretisierte Gefahr für ein hinreichend gewichtiges Rechtsgut“ voraus. Sollten auch bloße Kontaktpersonen mit derartigen Mitteln überwacht werden, bedürfe es zunächst einer „hinzutretenden spezifischen individuellen Nähe der Betroffenen zu der aufzuklärenden Gefahr“. Unabhängig müsse jedenfalls eine Überwachung der tatsächlich verantwortlichen Person mit entsprechenden Mitteln zulässig sein. Andernfalls fehlte es bereits an einer hinreichenden aufzuklärenden Gefahr.

Die Eingriffsnorm fordere aber nur, dass die Kontaktperson in einer „spezifischen Nähebeziehung“ zu einer verantwortlichen Person steht und „die Abwehr der Gefahr oder die Verhütung der Straftaten auf andere Weise aussichtslos ist oder wesentlich erschwert wäre“. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 BKAG genüge es für die heimliche Überwachung, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person „eine Straftat nach § 5 Abs. 1 S. 2 begehen will und die erhobenen Daten zur Verhütung dieser Straftat erforderlich sind“. Damit blieben die Anforderungen weit hinter denen zurück, die das Gesetz in § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 BKAG bei verantwortlichen Personen stellt. 

Speicherung in der Datenbank INPOL

§ 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 BKAG erlaubt die (vorsorgende) Speicherung zuvor erhobener personenbezogener Grunddaten durch das BKA im polizeilichen Informationsverbund INPOL. Dort können dann Behörden von Bund und Ländern auf die Daten zugreifen und zu verschiedenen Zwecken nutzen (vgl. § 29 Abs. 3 BKAG).

Das BVerfG wertet die Speicherung der zuvor erhobenen Daten zunächst als eine „zweckändernde Weiterverarbeitung“ mit erheblicher Grundrechtsrelevanz. Denn in den meisten Fällen würden Daten gespeichert, die ursprünglich zu anderen konkreten Zwecken erhoben worden sind. Es erhöhe außerdem die Eingriffsintensität, dass viele dieser Daten aus heimlichen Maßnahmen stammten, sodass der nachträgliche Rechtsschutz erheblich eingeschränkt sei.

Angesichts dieses erheblichen Eingriffsgewichts wahre § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 13 Abs. 3, 29 BKAG nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es fehle an einer hinreichend normierten Speicherungsschwelle – allein die Beschuldigteneigenschaft eines Betroffenen dürfe nicht ausreichen. Weil schon unklar ist, ob ein Beschuldigter die Straftat wirklich begangen habe, dürfe man allein daraus keinen belastbaren Schluss darauf ziehen, dass diese Person zukünftig Straftaten begehen könne.

Zudem fehle es an einem hinreichend ausdifferenzierten Regelungskonzept zur Speicherdauer. Das sähen auch die Datenschutzgesetze vor. Dass das BKA in der Praxis prognostische Elemente vor einer Speicherung berücksichtige und qua Gesetz die Erforderlichkeit im Einzelfall geprüft werden müsse, reiche nicht aus. Ebenfalls nicht ausreichend sei, dass das BKA nach einem innerbehördlichen Konzept in regelmäßigen Fristen Löschpflichten prüft. Dennoch sei die Löschung letztlich eine Entscheidung nur des BKA selbst.

Vorgaben des BVerfG an den Gesetzgeber

Bis zur Änderung durch den Gesetzgeber gilt § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKAG vorerst weiter. Allerdings schränkt das BVerfG die Anwendung der Befugnisnorm ein: Sie dürfe nur zur Anwendung gelangen, wenn die Person, zu der die von der Maßnahme betroffene „Kontaktperson“ in Kontakt steht, eine der in § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 3 BKAG geregelten Voraussetzungen erfülle. Es müssen also Tatsachen bzw. das Verhalten der Person die Annahme rechtfertigen, dass sie zeitnah eine konkrete terroristische Straftat begehen wird.

Auch § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. §§ 13 Abs. 3, 29 BKAG gilt zunächst eingeschränkt fort. Die Speicherung der personenbezogenen Daten bei INPOL sei aber nur gestattet, wenn eine spezifische Negativprognose gestellt worden sei, so die Vorgabe aus Karlsruhe: Betroffene müssten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine strafrechtlich relevante Verbindung zu möglichen Straftaten aufweisen. Außerdem müssten gerade die gespeicherten Daten zu deren Verhütung und Verfolgung angemessen beitragen können. Diese Prognosen müssten sich auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen.

Bereits 2016 hatte das BVerfG einige BKA-Befugnisse für teilweise verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber musste dann bis 2018 nachbessern. In ihrer Pressemitteilung äußert sich die GFF auch zu einem geplanten Sicherheitspaket der Ampel, das ebenfalls u.a. neue Polizeibefugnisse vorsieht. Die GFF mahnt auch hier die Einhaltung der Verfassung, um nicht später erneut einschränkende Vorgaben vom BVerfG umsetzen zu müssen. 

Weiterführende Informationen:

Pressemitteilung BVerfG Nr. 83/2024 v. 1.10.2024

Stellungnahme der BRAK Nr. 28/2015