Auslieferung von nicht-binärer Person an Ungarn unzulässig
Die Auslieferung verletze das Verbot erniedrigender Behandlung, Art. 4 GRCh, so das BVerfG. Die Haftumstände in Ungarn seien nicht geprüft worden.
Die mutmaßlich linksextreme, non-binäre Person Maja T., der Straftaten in Budapest gegen vermutlich rechtsextreme Personen vorgeworfen werden, hätte nicht an Ungarn ausgeliefert werden dürfen. Dies hat das BVerfG unter Verweis auf Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh, Verbot von Folter, erniedrigender Strafe und Behandlung) festgestellt. Das KG, das die Auslieferung für zulässig erklärt hatte, sei seiner Pflicht zur vollständigen Aufklärung des für die Überstellung erheblichen Sachverhalts nicht hinreichend gerecht geworden. Insbesondere habe es die konkret für die nicht-binäre Person zu erwartenden Haftumstände in Ungarn nicht hinreichend aufgeklärt (Beschl. v. 29.01.2025, Az. 3 OAus 4/25).
Übereilte Auslieferung nach Ungarn
Maja T. soll im Februar 2023 in Budapest gemeinschaftlich mit anderen mutmaßlichen Linksextremen vermeintliche Sympathisanten der rechtsextremen Szene u.a. mit Teleskopschlagstöcken angegriffen und erheblich verletzt haben. Die Opfer waren anlässlich des sogenannten „Tags der Ehre“ nach Ungarn gereist, um unter anderem der Waffen-SS zu huldigen. Im Dezember 2023 erfolgte die Festnahme in Berlin auf Basis eines europäischen Haftbefehls. Am 27. Juni 2024 erklärte das KG die Auslieferung nach Ungarn für zulässig. Noch in derselben Nacht hatten die Behörden die Person über Österreich nach Ungarn ausgeliefert, die Übergabe an Österreich war um 6:50 Uhr erfolgt. Erst um 7:38 Uhr stellte der Anwalt von Maja T. einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim BVerfG – in der Theorie erfolgreich, die Übergabe wurde vorläufig untersagt. Doch da war es bereits zu spät, bis heute sitzt Maja T. in Ungarn in Einzelhaft.
Der Fall hatte nicht nur unter Juristinnen und Juristen für Unmut gesorgt. Die BRAK hatte in einem offenen Brief an die Generalstaatsanwaltschaft eine Verletzung des aus Art 19 Abs. 4 GG folgenden Rechts auf effektiven Rechtsschutz sowie eine Missachtung rechtsstaatlicher Abläufe und der Gewaltenteilung gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte ihr eiliges Handeln mit im Internet angekündigte Störaktionen begründet. Weil gegen die Entscheidung des KG ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben sei, habe sie mit einer Verfassungsbeschwerde nicht gerechnet. Genau dies ist seit einiger Zeit Gegenstand juristischer Diskussionen; u.a. die BRAK fordert eine echte Rechtsmittelinstanz in Auslieferungssachen und eine Reform des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG).
Der aktuelle Beschluss des BVerfG befasst sich nun nicht mit der Art und Weise der Auslieferung, sondern mit dem zugrundeliegenden Beschluss des KG. Dessen Entscheidung, die Überstellung zuzulassen, habe bereits gegen das Recht aus Art. 4 GRCh verstoßen, weil es seiner Pflicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts nicht hinreichend gerecht geworden sei. Insbesondere habe es die Haftumstände, gerade für eine nicht-binäre Person, in Ungarn nicht hinreichend aufgeklärt.
BVerfG: KG hatte Haftbedingungen nicht konkret geprüft
Bereits im Verfahren vor dem KG hatte Maja T. mehrere Beweisangebote vorgelegt, wonach die Haftbedingungen in Ungarn nicht zumutbar seien. Darunter waren eidesstattliche Versicherungen von Inhaftierten sowie Berichte des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (Committee for the Prevention of Torture, CPT) sowie der Nichtregierungsorganisation Hungarian Helsinki Committee (HHC). Danach komme es in ungarischen Gefängnissen zu Überbelegung und zu Übergriffen auf sich als non-binär verstehende, homo- oder transsexuelle Personen. Das BVerfG wertete diese als “hinreichende Anhaltspunkte für systemische oder allgemeine Mängel“. Mit diesen habe sich das KG nicht ausreichend auseinandergesetzt, so das BVerfG. Stattdessen habe sich das KG auf eine alte Entscheidung des OLG Celle gestützt, wonach es keinerlei Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh in Ungarn gebe. Diese Entscheidung sei jedoch älteren Datums als die von Maja T. vorgelegten Berichte.
Das KG hatte sich zudem auf eine allgemeine “Garantieerklärung“ aus dem ungarischen Justizministerium verlassen, wonach man der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen genüge. Es seien zudem keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe bekannt, die mit der Geschlechtsidentität der betroffenen Person in Verbindung gebracht werden könnten. Das BVerfG bemängelte nun, dass es sich bei dieser Erklärung lediglich um einen Verweis auf die allgemeine Rechtslage handele und sich nicht auf den Einzelfall bzw. die tatsächlichen Haftbedingungen beziehe. Auch eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung enthalte die Erklärung nicht.
Queere Menschen sind aktuellen Berichten zufolge gefährdet
Hinzu komme, dass das KG zum Zeitpunkt seiner Entscheidung sogar die konkrete Haftanstalt kannte. Insofern hätte es sich aufgedrängt, die dortigen Haftbedingungen näher aufzuklären, so die Karlsruher Richterinnen und Richter weiter. Zudem entbänden Erklärungen eines Staates nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose angesichts der aktuellen Lage anzustellen. Nur so könnte ein Gericht die Situation einschätzen und prüfen, ob die abgegebene Zusicherung auch belastbar sei.
Auch im Hinblick auf die nicht-binäre Geschlechtsidentität hätte das KG nicht davon ausgehen dürfen, dass der Schutz ausreichend gewährleistet werde. Zumal das Gericht im Haftanordnungsbeschluss sogar selbst noch davon ausging, dass die Politik der aktuellen ungarischen Regierung als gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden müsse. Dieses Bild werde verstärkt durch den HHC-Bericht vom 27. Mai 2024 vor, demzufolge lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Insassen in ungarischen Justizvollzugsanstalten einer Diskriminierungsgefahr ausgesetzt seien. Die „Garantieübernahme“ ändere hieran nichts – schließlich werde die Geschlechtsidentität von inhaftierten Personen in Ungarn nicht erfasst. Somit könnten auch keine Diskriminierungen in diesem Zusammenhang erfasst und dementsprechend auch nicht verhindert werden.
Weiterführende Links:
BVerfG, Beschluss v. 24.01.2025 - 2 BvR 1103/24
BVerfG, Beschluss v. 28.6.2024 – 2 BvQ 49/24
Stellungnahme der BRAK Nr. 50/2024
Presseerklärung Nr. 5/2024 v. 08.07.2024
Nachrichten aus Berlin 14/2024 v. 10.07.2024
BRAK-News v. 18.7.2024 "Generalstaatsanwaltschaft weist Kritik der BRAK zurück"