Impfpflicht in Kitas

Verfassungsbeschwerden gegen Masernimpfpflicht erfolglos

Das BVerfG hält die faktische Impfpflicht in Kitas für verfassungsgemäß. Auch eine Impfung mit Kombinationsimpfstoffen müssen die Kinder grundsätzlich hinnehmen.

18.08.2022Rechtsprechung

Es ist nur eine einzige Einschränkung, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Donnerstag verkündete: Die Norm, die die Pflicht zum Nachweis einer Masernimpfung in bestimmten Betreuungseinrichtungen für Kinder enthält, müsse verfassungskonform ausgelegt werden, so die Karlsruher Richterinnen und Richter. Dann sei die Pflicht, eine Masernimpfung zu haben und nachzuweisen wie auch das Verbot, Kinderbetreuungseinrichtungen zu betreten, wenn das Kind nicht geimpft ist, verfassungsgemäß, so der Senat.

Dass der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 8 S. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) den Schutz von Menschen, die durch eine Maserninfektion gefährdet würden, höher bewertet als die Grundrechte der klagenden Eltern und ihrer ungeimpften Kinder, verstoße nicht gegen die Verfassung, erklärt das BVerfG in seinen nun veröffentlichten Entscheidungen (BVerfG, Beschl. v. 21.07.2022, Az 1 BvR 469/20, 1 BvR 472/20, 1 BvR 471/20, 1 BvR 470/20).

Das Masernschutzgesetz

Zum 1. März 2020 war die sog. Masern-Impfpflicht in Kraft getreten. Mit dem Masernschutzgesetz fügte der Gesetzgeber in § 20 Abs. 8 IfSG die Pflicht für Kinder ab einem Jahr ein, die in Kindertagesstätten oder erlaubnispflichtiger Kindertagespflege betreut werden, entweder gegen Masern geimpft oder davon genesen zu sein.

Wer diesen Nachweis nicht führen kann, darf die Einrichtung nicht betreten, kann also nicht betreut werden. Die Impfpflicht gilt ausweislich Satz 3 der Vorschrift ausdrücklich auch, wenn – wie aktuell in Deutschland der Fall - nur Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen, also Impfungen, die auch Impfstoffkomponenten gegen andere Krankheiten enthalten.

Aus Sicht der Eltern greift diese Pflicht, vor allem, weil sie diese damit auch gegen andere Krankheiten „mitimpfen“ müssen, unverhältnismäßig in die körperliche Unversehrtheit ihrer Kinder (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz, GG) wie auch in ihr Elternrecht aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 GG ein. Mit dieser Argumentation sind die klagenden Eltern aber nun – wie schon im einstweiligen Rechtsschutz im Jahr 2020 – auch in der Hauptsache vor dem BVerfG gescheitert.

BVerfG: Bei verfassungskonformer Auslegung keine Grundrechtsverletzung

Zwar billigen die Karlsruher Richterinnen und Richter den Eltern zu, dass mittelbar in ihr Elternrecht eingegriffen werde. Weil ihnen, wenn sie ihre Kinder nicht impfen lassen, faktisch kein Betreuungsangebot mehr zur Verfügung steht, sei die Wirkung der Pflicht mit einer gegen ihren Willen durchgeführten Impfung der Kinder vergleichbar. Auch sei der Anreiz, das Kind impfen zu lassen, weil man dieses betreut und frühkindlich gefördert sehen will, so stark, dass er einem unmittelbaren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Kinder gleichkomme.

Die Eingriffe seien aber jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung gerechtfertigt, begründet der Senat seine Entscheidung.

§ 20 Abs. 8 S. 3 IfSG müsse so ausgelegt werden, dass die Pflicht zum Nachweis einer Masernimpfung nur dann auch bei bloßer Verfügbarkeit von Kombinationsimpfstoffen gelte, wenn diese nur Komponenten gegen Mumps, Röteln oder Windpocken enthalten. Denn nur auf diese Krankheiten bezögen sich die vom Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes getroffenen Wertungen, so das BVerfG, und die Wirkstoffe in den Impfstoffen würden ebenfalls von der Ständigen Impfkommission empfohlen und wiesen ein positive Risiko-Nutzen-Analyse auf.

Es ist eine verfassungskonforme Auslegung, die in der Praxis nichts verändert. Die in Deutschland verfügbaren Impfstoffe enthalten nach Angaben des BVerfG ausschließlich genau die Komponenten gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken, die das BVerfG erlaubt. 

BVerfG: Risiko für vulnerable Personen überwiegt minimale Impfrisiken bei weitem

Die klagenden Eltern sind sachlich und rechtlich vollständig unterlegen, die Karlsruher Richterinnen und Richter räumen dem Schutz vulnerabler Personen (vor allem von Schwangeren und Säuglingen, die sich selbst nicht impfen lassen können) vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung den Vorrang ein gegenüber den Grundrechten ungeimpfter Kinder und ihrer Eltern.

Die Pflicht, einen Nachweis der Impfung gegen Masern nachzuweisen, sei geeignet, erforderlich und angemessen, um diesen Schutz zu erreichen. Die Kinder würden nicht von jeder Betreuung ausgeschlossen, weil sie weiterhin in selbstorganisierter privater Betreuung unterkommen könnten, auf der anderen Seite habe der Staat die Pflicht, gegen Gesundheitsgefährdungen vorzusorgen. Die Annahme des Gesetzgebers, dass sonst die Impfquote weiter stagnieren und die Zahl der Impfausbrüche in Kindertagesstätten steigen könne, hält der Senat für tragfähig.

Für die staatliche Schutzpflicht führt er neben der hohen Ansteckungsgefahr bei Masern auch die – in der Regel tödliche – Spätfolge einer subakuten sklerosierenden Panenzephalitis an. Bei einer Impfung hingegen träten kaum Nebenwirkungen auf, ein echter Impfschaden sei extrem unwahrscheinlich.