Verfassungswidrige Norm, aber keine Vorlage: BVerfG rügt BayOLG
BVerfG: Das BayOLG hätte bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von § 184b Abs. 3 StGB eine Normenkontrolle einleiten müssen.
Geht ein Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer Strafnorm aus, auf deren Basis ein Angeklagter verurteilt werden soll, ist es grundsätzlich verpflichtet, diese im Wege der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) dem BVerfG vorzulegen. Dies gelte selbst dann, wenn das Gericht die Gültigkeit der Strafnorm nicht für entscheidungsrelevant hält. Ansonsten sei das Grundrecht des Verurteilten auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, so das BVerfG (Beschl. v. 25.07.2025, Az. 2 BvR 618/24).
Verurteilung auf Basis von verschärfter Strafnorm
Dem Verfahren lag die Verurteilung eines Mannes wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte zugrunde. Die Fachgerichte, darunter das LG Traunstein, hatten § 184b Abs. 3 StGB in der verschärften Fassung vom 1. Juli 2021 bis 27. Juni 2024 zugrunde gelegt, die eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorsah. Eine mildere Bestrafung – etwa durch Annahme eines minder schweren Falls – war in dieser Fassung gesetzlich nicht mehr vorgesehen. 2024 wurde die Mindeststrafe auf eine Mindeststrafe von lediglich drei Monaten abgesenkt.
Das AG Mühldorf am Inn verhängte zunächst eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung. Nach Berufung der Staatsanwaltschaft wurde die Strafe vom Landgericht auf ein Jahr und sieben Monate erhöht. Zur Begründung verwies die Strafkammer unter anderem auf eine einschlägige Vorverurteilung, die Anzahl und Art der sichergestellten Dateien sowie auf die Tatsache, dass der Betroffene die Darstellung minderjähriger Kinder in sexualisierter Weise bewusst besessen habe.
Die Revision gegen das Berufungsurteil blieb ohne Erfolg: Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayOLG) verwarf diese mit Beschluss vom 14. März 2024. Es hielt den gesetzlich vorgesehenen Strafrahmen zwar für verfassungswidrig, weil er gegen den Schuldgrundsatz (Übermaßverbot) verstoße. Dennoch sah es keine Veranlassung zur Vorlage an das BVerfG. Zur Begründung führte es aus, es könne „ausnahmsweise“ ausgeschlossen werden, dass das LG bei Anwendung eines milderen Strafrahmens eine niedrigere Strafe verhängt hätte, schließlich sei der Mann einschlägig vorbestraft gewesen.
BVerfG: Entzug des gesetzlichen Richters durch unterlassene Vorlage
Das BVerfG stellte nun auf die Verfassungsbeschwerde des damals Verurteilten fest, dass das Gericht sein Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hatte. Ein Fachgericht, das von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt ist, sei auch grundsätzlich zur Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG verpflichtet, stellten die Karlsruher Richterinnen und Richter klar. Das BVerfG hob daher den angegriffenen Beschluss des BayOLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Die bloße Annahme, dass sich ein etwaiger Verfassungsverstoß im konkreten Fall nicht ausgewirkt hätte, weswegen es auf die Gültigkeit der Norm nicht ankomme, überschreite „die Grenzen der vertretbaren Rechtsanwendung“ und „entbehre […] einer sachlichen Grundlage“ so das BVerfG. Der gesetzliche Strafrahmen sei schließlich der Ausgangspunkt der Strafzumessungsentscheidung und vermittele einen verbindlichen Eindruck des Unwertgehalts einer Tat. Das BayOLG entferne sich aber von dem Grundsatz, dass der Strafrahmen als Orientierung für das Schuldmaß diene.
Es habe sich nicht mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, dass das LG sich auf der Grundlage einer gültigen Norm anders entschieden haben könnte. Wie das OLG das in diesem Fall habe ausschließen können, sei „nicht nachvollziehbar“. Es ergebe sich auch nicht aus den Gründen des angegriffenen Beschlusses. Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass ein Tatgericht bei einem anderen Strafrahmen möglicherweise dieselbe Strafe verhänge. Das OLG sei nun aber kein Tatgericht, sondern die Revisionsinstanz, die mögliche Rechtsfehler überprüfen müsse. Hier sei es sogar von der Verfassungswidrigkeit der Strafnorm überzeugt gewesen, welche der Verurteilung zugrunde lag.
Ein Fachgericht, das eine Norm, die es für verfassungswidrig halte, nicht vorlege, weil es in nicht vertretbarer Weise die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des betreffenden Gesetzes annehme, verletzte damit in der Regel die Garantie des gesetzlichen Richters. Dies folge schon aus den Verfassungszielen, welche die Vorlagepflicht verfolge.