Videoverhandlungen

Richter im Homeoffice und Videostreams für alle?

Der Rechtsausschuss hat noch wichtige Änderungen am Gesetzentwurf zur Videokonferenztechnik in der Zivil- und Fachgerichtsbarkeit beschlossen.

16.11.2023Gesetzgebung

Der Rechtsausschuss hat am Mittwoch, den 15. November 2023, den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz „zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ in geänderter Fassung beschlossen: Unter anderem sollen die Verhandlungsleitung und Urteilsverkündung des bzw. der Vorsitzenden aus dem Homeoffice möglich werden; außerdem in Erprobungsfällen Streams von Verhandlungen für die Öffentlichkeit.

Mit dem Entwurf soll in zivil- und fachgerichtlichen Verfahren insbesondere die Videoverhandlung durch eine Neufassung des § 128a Zivilprozessordnung (ZPO) gestärkt und flexibilisiert werden. Im parlamentarischen Verfahren wurden auf Antrag der Koalitionsfraktionen noch diverse weitere Änderungen gegenüber dem vorherigen Kabinettsentwurf vorgenommen. Für die geänderte Vorlage stimmten die Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie DIE LINKE. Dagegen waren die CDU/CSU und die AfD.

Was im Vergleich zum Regierungsentwurf geändert wurde

Im Gegensatz zum vorhergehenden Entwurf der Regierung (20/8095) ist im aktuellen nun vorgesehen, dass auch der oder die Vorsitzende die Videoverhandlung "von einem anderen Ort als der Gerichtsstelle aus" leiten darf (§ 128a Abs. 6 ZPO-E). Das allerdings nur, wenn alle Verfahrensbeteiligten und alle Mitglieder des Gerichts an der mündlichen Verhandlung online teilnehmen. Im Kabinettsentwurf war zuvor noch vorgesehen, dass der bzw. die Vorsitzende die Sitzung in jedem Fall vom Gericht aus leiten.  Auch eine Urteilsverkündung – etwa direkt im Anschluss an die Verhandlung – soll per Video möglich werden.

Angepasst wurden auch Regelungen, nach denen die Länder vollvirtuelle Gerichtsverhandlungen erproben können. In der Neufassung des § 16 des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung (ZPOEG-E), soll es nun möglich werden, der Öffentlichkeit per Stream eine unmittelbare Teilnahme an der Videokonferenz zu ermöglichen. Die Zulassung der Erprobung soll auf einzelne Gerichte oder Verfahren beschränkt werden können. Die auf zehn Jahre befristete Erprobungsphase soll anschließend daraufhin evaluiert werden, ob und unter welchen Voraussetzungen sie flächendeckend zugelassen werden kann. Außerhalb dieser Erprobungsmöglichkeit ist im Entwurf bislang weiterhin nur eine Übertragung in einen öffentlich zugänglichen Raum im Gericht vorgesehen, um den Grundsatz der Öffentlichkeit zu wahren. 

Eine weitere Neuerung findet sich in § 128a Abs. 2 ZPO-E für den Fall, dass nur einer der am Verfahren beteiligten Rechtsanwälte einen Antrag auf Durchführung einer Videoverhandlung stellt: Dann soll das Gericht diese in der Regel nun auch anordnen. Im vorherigen Entwurf war diese „Soll“-Vorschrift nur vorgesehen, sofern alle Prozessbevollmächtigten den Wunsch geteilt hatten. Ebenfalls neu: Lehnt der oder die Vorsitzende einen Antrag auf Videoverhandlung ab, so ist diese Entscheidung künftig zu begründen – und zwar nicht nur durch Formschreiben, sondern einzelfallbezogen. Das Gericht wird mit dieser Neufassung noch stärker an den Parteiwillen gebunden.

Weitere geplante Änderungen 

Bereits im vorherigen Regierungsentwurf war vorgesehen, dass das Gericht eine Videoverhandlung nicht mehr nur gestatten, sondern auch anordnen können soll. Die BRAK hatte sich in der Vergangenheit in ihren Stellungnahmen zum Regierungs- und Referentenentwurf (BRAK-Stn. -Nrn. 5/2023; 60/2023) dafür ausgesprochen, den Parteien die Entscheidungsgewalt hierüber zu belassen und eine Anordnung von Amts wegen abgelehnt. Immerhin kann der Adressat bzw. die Adressatin einer Anordnung nach einer bereits im Regierungsentwurf erfolgten Änderung nun gegen diese Anordnung innerhalb einer Frist von zwei Wochen ohne Begründung Einspruch einlegen. Dann wird auf den Einsatz der Technik verzichtet.

Auch eine Inaugenscheinnahme im Wege der Videobeweisaufnahme soll künftig zugelassen werden (§ 284 ZPO-E). Zudem soll das Gericht diese auch anordnen können. Des Weiteren soll die Stellung von Anträgen und Abgabe von Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle per Bild- und Tonübertragung ermöglicht werden (§ 129a ZPO-E). Bislang wird hierfür die persönliche Anwesenheit der Rechtsuchenden in der Rechtsantragstelle vorausgesetzt. Schließlich sollen die Regelungen zur vorläufigen Protokollaufzeichnung erweitert werden (§ 160a ZPO-E). Zusätzlich zu der bereits zulässigen Tonaufzeichnung soll die Möglichkeit für das Gericht geschaffen werden, auch eine Bild-Ton-Aufzeichnung anzufertigen. Anträge und Erklärungen rechtssuchender Bürgerinnen und Bürger zu Protokoll der Geschäftsstelle sollen zukünftig auch per Video gegenüber der Geschäftsstelle abgegeben werden können (§ 129a ZPO-E). 

Direkt bzw. über Verweise sollen die neuen Vorschriften auch für Zivil-, Verwaltungs-, und Finanzgerichtsverhandlungen gelten. Die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit hingegen werden weitgehend ausgenommen – hier sollen im Wesentlichen die bisherigen Vorschriften beibehalten werden. 

Ziel des Gesetzes und weiteres Verfahren

Mit den Änderungen sollen laut Gesetzesbegründung des Kabinettsentwurfs die Voraussetzungen geschaffen werden, um die digitalen Mittel der Videoverhandlung in verschiedensten  Verfahrenssituationen einsetzen zu können und physische Präsenz vor Ort entbehrlich zu machen. Verfahren sollen dadurch künftig schneller, flexibler, kostengünstiger und ressourcenschonender durchgeführt werden. All dies soll auch die Attraktivität der Justizberufe erhöhen. Zudem soll Menschen mit Behinderungen der Zugang zur Justiz erleichtert werden. Die BRAK hatte sich grundsätzlich für den Referenten- und Regierungsentwurf stark gemacht, an einzelnen Regelungen jedoch Kritik geübt. Mit den neuesten Änderungen konnte sich die BRAK mangels weiterer Stellungnahmemöglichkeit indes noch nicht befassen.

Die zweite und dritte Lesung im Bundestag sind für Freitag, 17. November 2023, vorgesehen. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz dann beschlossen wird.

Weiterführende Links:

Änderungsantrag Videokonferenztechnik (Ausschuss-Drs. 20(6)73 v. 14.11.2023)
Video zur öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwoch, 18. Oktober 2023 (mit RAin Sabine Fuhrmann, Vizepräsidentin der BRAK)
Stellungnahme der BRAK Nr. 60/2023 (zum Regierungsentwurf)
Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten
BRAK-Stellungnahme-Nr. 5/2023 (zum Referentenentwurf)
Podcast „Kurz & knackig: Der geplante § 128a ZPO - Wasch mich, aber mach mich nicht nass?“ mit Rechtanwalt und Notar Hans Ulrich Otto
Podcast Episode 83: Schauspieler in der Videoverhandlung – Der Prozess der Zukunft