EuGH: Anwaltliche Unabhängigkeit hat Vorrang – Fremdbesitzverbot zulässig
Das Verbot der Beteiligung reiner Finanzinvestoren an einer Rechtsanwaltsgesellschaft ist zulässig und gerechtfertigt, um die anwaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Das hat der Europäische Gerichtshof am 19.12.2024 auf eine Vorlage des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs entschieden.
Die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit stehen der deutschen Regelung in § 59e BRAO a.F. nicht entgegen, nach der es unzulässig ist, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben, und die bei Zuwiderhandlung den Widerruf der Zulassung der betreffenden Rechtsanwaltsgesellschaft vorsieht. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 19.12.2024 auf einen Vorlagebeschluss des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs (AGH) aus dem Frühjahr 2023.
Im Ausgangsverfahren hatte eine Rechtsanwaltsgesellschaft geklagt, an der eine österreichische nicht-anwaltliche Gesellschaft Anteile erworben hatte. Die zuständige Rechtsanwaltskammer hatte der Rechtsanwaltsgesellschaft daraufhin die Zulassung entzogen, weil das damals geltende anwaltliche Berufsrecht (§ 59e BRAO a.F.) keine nicht-anwaltlichen Gesellschafter zuließ; vielmehr durften nur Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Angehörige sozietätsfähiger Berufe i.S.v. § 59a BRAO a.F. Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein, die in der Gesellschaft beruflich tätig sind. Der AGH hatte Zweifel, ob § 59e BRAO a.F. mit der Kapitalverkehrs-, der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.
Der Generalanwalt beim EuGH hatte in seinen Schlussanträgen zwar betont, dass die Gründe, auf denen die Bestimmungen zum Fremdbesitzverbot der BRAO fußen, als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen werden können. Er äußerte jedoch Bedenken im Hinblick auf die Kohärenz der Regelungen in der damals geltenden Fassung der BRAO.
Mit seiner Entscheidung ist der Gerichtshof den Schlussanträgen nicht gefolgt, sondern hat klargestellt, dass das Fremdbesitzverbot mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Anwältinnen und Anwälte müssten nicht nur vom Staat, sondern auch finanziell unabhängig sein. Durch reine Finanzinvestoren sieht der EuGH die Gefahr von Interessenkonflikten und Einflussnahmen. Dass die Freiheit hiervon für die Ausübung des Anwaltsberufs unerlässlich ist, hat er bereits in früheren Entscheidungen betont.
Weiterführende Links:
- EuGH, Urt. v. 19.12.2024 – Rs. C-295/23
- EuGH, Pressemitteilung v. 19.12.2024
- Presseerklärung Nr. 14/2024 v. 19.12.2024
- News der RAK München v. 19.12.2024
- Nachrichten aus Berlin 14/2024 v. 10.7.2024 (zu den Schlussanträgen des Generalanwalts)
- Bayerischer AGH, Beschl. v. 20.4.2023 – BayAGH III-4-20/21, BRAK-Mitt. 2023, 185
- Nachrichten aus Berlin 1/2024 v. 10.1.2024 (zur Position der BRAK zum Fremdbesitzverbot)
- Huff/Suliak, LTO v. 19.12.2024
Hintergrund:
Die Auswertung der Umfrage zum Fremdbesitzverbot hat das Bundesministerium der Justiz auf seiner Website veröffentlicht. Nitschke/Wietoska, BRAK-Mitt. 2024, 2 analysieren die Umfrage im Detail. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass gerade die Anwält:innen, denen die geforderte Abschaffung oder Lockerung des Fremdbesitzverbots angeblich dienen soll, es am stärksten ab lehnen, keinen Finanzierungsbedarf für sich sehen und von der Möglichkeit reiner Kapitalinvestoren keinen Gebrauch machen würden.