Freiheitsstrafe ohne Verteidigung wohl verfassungswidrig
Das Berufungsgericht verurteilte den abwesenden Täter ohne Verteidigung zu einer Freiheitsstrafe – das BVerfG stoppte nun den Strafvollzug.
Wird ein Straftäter zu einer Freiheits- statt einer Geldstrafe verurteilt, obwohl weder er noch sein Verteidiger anwesend sind, so spricht dies in der Regel für eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren. Dies lässt sich einem BVerfG-Beschluss im Eilverfahren entnehmen, in dem die Karlsruher Richterinnen und Richter einen laufenden Strafvollzug stoppten
(Beschl. vom 19.07.2024, Az. 2 BvR 829/24).
Das Amtsgericht Frankfurt a.M. verurteilte einen Mann noch zu einer Geldstrafe, doch das Berufungsgericht verschärfte das Urteil später auf die Berufung der Staatsanwaltschaft zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Die Berufung des Angeklagten verwarf das LG Frankfurt als unzulässig. Das Problematische daran war: Der Verteidiger hatte zwar zwei Tage vor der Verhandlung mitgeteilt, dass sein Mandant erkrankt sei und ein Attest nachgereicht werde. Dennoch traf das LG Frankfurt a.M. im geplanten Termin seine Entscheidung – ohne den Angeklagten und seinen Verteidiger. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. verwarf die dagegen eingelegte Revision als unzulässig. Die beiden Verfahrensrügen – Verurteilung in seiner Abwesenheit und ohne Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers – hätten nicht in einer den formellen Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügt. Der Mann musste in Haft. Sein Verteidiger legte jedoch Verfassungsbeschwerde ein und beantragte vor dem BVerfG gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf vorläufige Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe.
BVerfG: Vermutlich ein Fall notwendiger Verteidigung
Dem kamen die Verfassungsrichterinnen und -richter nun nach und setzten die Vollstreckung der Freiheitsstrafe vorläufig aus. Viel spreche dafür, dass die Verurteilung ohne Mitwirkung eines Verteidigers das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt habe. Auch sei es zulässig gewesen, sich direkt ans BVerfG zu wenden. Denn viel spreche dafür, dass das OLG die Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO überspannt habe und wahrscheinlich unerheblichen Vortrag verlangt habe.
Das Recht auf ein faires Verfahren gewährleiste es dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. Hier spreche viel dafür, dass das LG die Berufungshauptverhandlung nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers hätte führen dürfen. Aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge habe zudem wahrscheinlich ein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 StGB) vorgelegen.
Aus diesem Grund sei der Vollzug der Freiheitsstrafe vorläufig auszusetzen. Schließlich würde der Mann endgültig seine Freiheit in dieser Zeit verlieren, wohingegen – sollte das Urteil dennoch Bestand haben – ansonsten lediglich die Strafvollstreckung vorübergehend verzögert würde.