BVerfG kippt Triage-Regeln: Länder, nicht Bund sind zuständig
Die Verfassungsmäßigkeit der Triage-Regeln scheiterte bereits an der fehlenden Zuständigkeit des Bundes – jetzt müssen die Länder neue Regeln schaffen.
Das BVerfG hat die Triage-Regelungen in § 5c IfSG des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz − IfSG) wegen fehlender Bundeskompetenz für die konkreten Regelungen für nichtig erklärt. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der antragstellenden Fachärztinnen und -ärzte sei bereits deshalb verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt – auf materiell-rechtliche Fragen kam es daher nicht mehr an. Die Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen (Beschl. v. 23.09.2025, Az. 1 BvR 2284/23).
„Triage“ ist der Begriff für eine Dilemma-Situation, in der es keine ausreichenden Ressourcen mehr gibt, um alle Menschen, die Hilfe bräuchten, auch tatsächlich intensivmedizinisch zu behandeln. Jede Entscheidung über die Verteilung der zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Ressourcen kann regelmäßig zu einem Verlust von Menschenleben führen. Die Zuteilung der vorhandenen Ressourcen (sog. Allokation) kann folglich nie zum Wohle aller Patientinnen und Patienten gelingen. Solche Situationen traten im Rahmen der Corona-Pandemie auf.
Jetzt müssen die Länder entsprechende Regelungen für solche Situationen finden – bis dahin herrscht eine Regelungslücke.
BVerfG: Es braucht Regeln für die Triage
Dass es gesetzgeberische Regelungen für die Triage-Situation brauche, hatte das BVerfG bereits 2021 entschieden. Damals sagten die Verfassungsrichterinnen und -richter, dass der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt habe, weil er es unterlassen habe, Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei einer Triage-Situation benachteiligt werde. Das Gericht hatte den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich geeignete Vorkehrungen zu treffen (Beschl. v. 16.12.2021, Az. 1 BvR 1541/20).
Mit der Neuregelung von § 5c IfSG hat der Gesetzgeber dann 2022 erstmals ein Verfahren sowie ein (positives) Priorisierungskriterium und zahlreiche nicht anzuwendende Kriterien im Falle einer Triage geregelt. Darin regelte der Bundesgesetzgeber unter anderem, anhand welcher materieller Kriterien eine Entscheidung in einer Triage zu treffen ist, soweit dieser Knappheitsfall durch eine übertragbare Krankheit jedenfalls mitverursacht wird.
Gegen § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG hatten 14 Fachärztinnen und Fachärzte im Bereich der Notfall- und Intensivmedizin zwei Verfassungsbeschwerden eingereicht. Sie rügten unter anderem, in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt zu sein.
BVerfG: Keine Gesetzeskompetenz des Bundes
Das BVerfG sagte nun: Die Verfassungsbeschwerden seien zulässig und begründet, die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführenden verletzt. Grundsätzlich schütze Art. 12 Abs. 1 GG das Recht von Ärztinnen und Ärzten, eigenständig ihre Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ einer Heilbehandlung zu treffen. Die Regelungen des § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG schränkten ihre Therapiefreiheit ein. Der Eingriff sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, denn es fehle bereits an der formellen Verfassungsmäßigkeit. Es bestehe keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die angegriffenen Regelungen.
Der Bund könne sich zunächst nicht auf die Kompetenz zur Regelung von Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG stützen. Diese Regelungskompetenz gelte nur für Maßnahmen, die der Eindämmung oder Vorbeugung dienten. Darum gehe es bei dieser Sondersituation aber gerade nicht. Die Triage-Regeln dienten nicht der Pandemiebekämpfung, sondern seien „reines Pandemiefolgenrecht“. Sie beträfen nur die Frage, „wer“ behandelt werden dürfe, nicht jedoch das „Wie“. So nenne auch der Normtext selbst als Zweck den Schutz vor Diskriminierung und die Rechtssicherheit für die handelnden Ärztinnen und Ärzte. Da die Triageregelungen für die Vorbeugung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nicht unerlässlich seien, könne auch nicht auf eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs oder eine Annexkompetenz abgestellt werden.
§ 5c Absätze 1 bis 3 IfSG ließen sich auch nicht unter den Titel konkurrierender Gesetzgebung der „öffentlichen Fürsorge“ fassen. Zwar enthielten die Regelungen des § 5c IfSG auch fürsorgerische Elemente, soweit sie dem Schutz von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung zu dienen bestimmt seien. Im Kern gehe es aber nicht um Fürsorge, sondern eben um Regeln für Medizinerinnen und Mediziner. Die Entscheidung der Verfassung, dem Bund für das Gesundheitswesen nur auf einzelne Sachbereiche beschränkte Gesetzgebungskompetenzen zuzuweisen, dürfe nicht unterlaufen werden.
Zuletzt komme auch eine Bundeskompetenz nicht kraft Natur der Sache in Betracht. Es brauche auch im Pandemiefall nicht notwendigerweise eine gesamtstaatliche Regelung. Dass bei Pandemien eine bundeseinheitliche Regelung zweckmäßiger sein könnte als eine Selbstkoordinierung der Länder, genüge hierfür nicht.