Angriff auf türkische Anwaltschaft: Terror? Ja, gegen die Anwaltschaft!
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) verurteilt aufs Schärfste die Absetzung des gesamten Vorstands der Istanbuler Rechtsanwaltskammer durch die türkische Justiz. Diese Entscheidung stellt einen gravierenden Angriff auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei dar.
Am Freitag entschied ein Gericht in Istanbul, dass alle 11 Vorstandsmitglieder, einschließlich ihres Präsidenten Prof. Dr. Ibrahim Kaboğlu, ihres Amtes enthoben werden, da sie „Terrorpropaganda“ betrieben sowie irreführende Informationen verbreitet hätten. Anlass für die Amtsenthebung war eine Erklärung der Kammer, in der sie eine Untersuchung der Tötung zweier kurdischer Journalisten durch einen türkischen Drohnenangriff forderte und mutmaßte, der Vorfall nicht nur einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, sondern ggf. auch ein Kriegsverbrechen darstellen könnte.
Das Gericht sah hierin einen Verstoß gegen das Gesetz Nr. 1136 über die Zuständigkeiten und Aufgaben der Anwaltskammer. Dieser vermeintliche Verstoß führe nach Ansicht des Gerichts dazu, dass die Vorstandsmitglieder weder geeignet noch in der Lage seien, ihr Amt ordnungsgemäß zu führen.
Die BRAK sieht in diesem Vorgehen einen beispiellosen Angriff auf die türkische Anwaltschaft und eine massive Bedrohung der anwaltlichen Unabhängigkeit.
BRAK-Vizepräsident Rechtsanwalt André Haug findet deutliche Worte: „Das Verfahren ist ein weiterer politisch motivierter Versuch, die türkische Anwaltschaft zu delegitimieren und aus dem Weg zu räumen! Dass sich die Justiz hierfür instrumentalisieren lässt, ist rechtsstaatlich unerträglich. Sollte an der Amtsenthebung festgehalten werden, sehe ich keine Zukunft für die Türkei, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zumindest akzeptabel wäre.“
Die BRAK sieht in der Kriminalisierung legitimer Forderungen einen weiteren Versuch, ein Klima der Einschüchterung zu schaffen.
Angesichts dieser alarmierenden Entwicklungen fordert die BRAK die sofortige Rücknahme der Amtsenthebung des Vorstands der Istanbuler Rechtsanwaltskammer und die Einstellung aller Verfahren gegen die betroffenen Anwältinnen und Anwälte aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit.
Die BRAK erklärt ihre uneingeschränkte Solidarität mit den türkischen Kolleginnen und Kollegen.
„Wir werden die Situation weiterhin genau beobachten und uns auf internationaler Ebene für die Rechte der türkischen Anwaltschaft einsetzen. Ich hoffe, dass sich auch andere Anwaltsorganisationen dem besorgniserregenden Trend in der Türkei entgegenstellen. Auch die Türkei hat die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und ihrer Selbstverwaltungsorgane zu achten“, so Haug.
Hintergrundinformationen
Bereits am 27. Februar 2025 verurteilte das Standing Committee des CCBE in Wien unter Beteiligung der BRAK die strafrechtlichen Ermittlungen und straf- und zivilrechtlichen Verfahren gegen die Rechtsanwaltskammer Istanbul, ihren Präsidenten İbrahim Kaboğlu und Mitglieder ihres Vorstands. Die Verfahren wurden aufgrund von Forderungen der betroffenen Anwälte und Anwältinnen nach einer unparteiischen Untersuchung der Todesfälle von zwei Journalisten und der Achtung des internationalen humanitären Rechts von den türkischen Behörden auf Grundlage von Vorwürfen wie „Terrorpropaganda“ und „Verbreitung irreführender Informationen“ eingeleitet. Das Standing Committee forderte einstimmig die sofortige Einstellung der Verfahren gegen die Rechtsanwaltskammer und ihre Vertreter und forderte die bedingungslose Freilassung des Anwalts und Vorstandsmitglieds der Anwaltskammer Fırat Epözdemir, der am 25. Januar 2025 willkürlich in Istanbul bei Rückkehr von einem Europaratsmeeting festgenommen wurde. Zuvor hatten bereits französische Kollegen in einem Aufruf des Conseil National des Barreaux (FR) auf seine Situation aufmerksam gemacht.
In seinem schriftlichen Statement (EN) v. Februar 2025 erinnerte der CCBE an die internationalen Verpflichtungen der Türkei zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Anwaltschaft und das grundlegende Recht der Anwälte, sich an öffentlichen Diskussionen über das Recht und die Menschenrechte zu beteiligen, und betont, dass die Unabhängigkeit der Anwaltskammern für die Unabhängigkeit der gesamten Anwaltschaft von entscheidender Bedeutung ist.
Siehe hierzu auch folgende Newsletter-Artikel der Nachrichten aus Brüssel und Berlin: 4/2025; 25/2024, 23/2024 und 22/2024.