Neues Sanktionenrecht

Bundestag stimmt zu: Ersatzfreiheitsstrafen werden halbiert

Die Geldstrafe soll künftig das Existenzminimum belassen, außerdem sollen Menschen als Ersatz für sie seltener und weniger lang ins Gefängnis kommen.

28.06.2023Gesetzgebung

Der Bundestag hat am 22. Juni 2023 einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Überarbeitung des Sanktionenrechts (20/5913) in der durch den Rechtsausschuss geänderten Fassung (20/7026) zugestimmt. Das Strafrecht wird dadurch in mehrfacher Hinsicht angepasst: Ersatzfreiheitsstrafen werden halbiert, Geldstrafen für Sozialhilfeempfängerinnen und –empfänger verringert sowie „geschlechterspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive bei der Strafzumessung berücksichtigt. Diese und weitere Änderungen sollen Straftäterinnen und –täter dabei unterstützen, sich zu resozialisieren und künftig keine Straftaten mehr zu begehen. Außerdem sollen Menschen mehr vor Diskriminierung geschützt werden. Die BRAK hatte sich in ihrer Stellungnahme 34/2022 im August 2022 zum Referentenentwurf positioniert. 

Umrechnungsmaßstab einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe wird halbiert

Eine Ersatzfreiheitstrafe wird angeordnet, wenn eine zu einer Geldstrafe verurteilte Person diese nicht zahlt und das Geld auch nicht eingetrieben werden kann. Häufig kommt dies bei Schwarzfahrenden vor. Bislang gilt nach § 43 StGB: Einem Tagessatz entspricht ein Tag Freiheitsstrafe. An dieser Regelung gab es immer wieder starke Kritik: zu teuer für den Staat, ungerecht für Ärmere, die ihre Geldstrafe nicht zahlen können. Der Entwurf sieht nun eine Änderung des § 43 StGB vor, wonach der Umrechnungsmaßstab einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe halbiert werden soll. Demnach sollen künftig zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen.

Die Halbierung begründet die Bundesregierung mit dem Umstand, dass deren Vollzug „in der Regel keinen Beitrag zur Resozialisierung der Betroffenen leisten kann“. Die Zahl der Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sei deutlich gestiegen. Dagegen sei die Zahl derer, die eine Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit vermeiden, deutlich zurückgegangen.

Eine komplette Streichung der Ersatzfreiheitsstrafen, wie es die Partei die Linke gefordert hatte, lehnt die Bundesregierung hingegen ab. Dies würde die „wirksame Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs“ bei der Geldstrafe grundsätzlich infrage stellen.

Durch eine Änderung in § 459e Strafprozessordnung (StPO) will die Regierung außerdem sicherstellen, dass die verurteilte Person stärker bei der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafe unterstützt wird. So sollen Vollstreckungsbehörden sie auf die Möglichkeiten von Zahlungserleichterungen sowie auf die Möglichkeit gemeinnützige Arbeit („freie Arbeit“) zur Abwendung der Ersatzfreiheitsstrafe hinweisen müssen.

Gerichte und die Vollstreckungsbehörde sollen zur Vorbereitung gewisser Entscheidungen stärker die Gerichtshilfe sowie Träger der freien Straffälligenhilfe einbinden können (§ 463d StPO-E). 

Geldstrafen: Minimum zum Leben soll verbleiben

Die nächste Änderung betrifft Geldstrafen: Künftig sollen Gerichte bei deren Verhängung explizit darauf achten, „dass dem Täter mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt“. § 40 Abs. 2 StGB soll entsprechend dem Entwurf des Rechtsausschusses ergänzt werden. Damit soll die obergerichtliche Rechtsprechung kodifiziert werden, nach der insbesondere bei Empfängern von Sozialleistungen eine Abweichung von Nettoeinkommensprinzip geboten sei.

Änderungen bei der Strafzumessung

Hinsichtlich der Strafzumessung werden per Gesetz künftig „geschlechterspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive als Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele in § 46 Abs. 2 StGB aufgeführt. Zwar können laut Gesetz solche Hassmotive bereits heute strafverschärfend berücksichtigt werden. Diese Vorgabe soll jedoch bekräftigt und verstärkt werden.

Die Bundesregierung verweist zur Begründung auf die gestiegene Zahl von Gewalttaten gegen Frauen innerhalb von Partnerschaften sowie im digitalen Raum in Form von Hassreden. Ebenfalls davon betroffen seien analog wie digital auch lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen sowie andere queere Menschen.

Unterbringung in Entziehungsanstalten

Außerdem werden die Voraussetzungen verschärft, unter denen drogen- oder alkoholabhängige Straftäter ihre Haft gem. § 64 StGB in einer Entzugseinrichtung oder einem psychiatrischen Krankenhaus verbringen können. Weil immer mehr Häftlinge in solchen Einrichtungen untergebracht sind, sind die Anstalten überlastet.

Dafür seien zum einen die zu weit gefassten Voraussetzungen verantwortlich. Deshalb soll zum einen die Anordnung einer solchen Maßregel an strengere Voraussetzungen geknüpft werden. Der Entwurf will daher die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt insbesondere wieder stärker auf wirklich behandlungsbedürftige und strafanfällige Personen mit Drogen- und Alkoholproblemen konzentrieren. Statt einer „hinreichend konkreter Erfolgsaussicht“ soll künftig die „tatsächlich begründete Erwartung, dass das Unterbringungsziel erreicht wird“, Voraussetzung sein.

Zum anderen setze die bisherige Anrechnungspraxis der Maßregelzeit falsche Anreize, durch eine Anordnung nach § 64 StGB eine „Milderung“ einer hohen Freiheitsstrafe zu erlangen, so der Gesetzentwurf. Aktuell ist die Strafrestaussetzung zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 StGB - unter im Vergleich zu § 57 StGB erleichterten Voraussetzungen – möglich, wenn die Hälfte der Strafe verbüßt ist. Künftig soll dies regelmäßig, wie bei Gefängnisstrafen nach § 57 StGB auch, erst nach zwei Dritteln der Strafe möglich sein.

Auflagen und Weisungen

Des Weiteren werden die Möglichkeiten, bei Bewährungsaussetzungen und vorläufigen Einstellungsentscheidungen durch Auflagen und Weisungen präventiv auf Straftäter einzuwirken, bekräftigt und ausgebaut.  Das soll der verurteilten Person dabei helfen, keine Straftaten mehr zu begehen.

Zu diesem Zweck wird § 59a Abs. 2 StGB (Weisungen bei Bewährungen) um die Verrichtung gemeinnütziger Arbeit sowie die Möglichkeit einer Weisung ergänzt, „sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung)“. Letztere Option findet außerdem Eingang in § 56c Abs. 2 (Weisung im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung) und § 153a Absatz 1 Satz 2 StPO (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen).

Strafbarkeit von im Ausland begangenen Taten

Wie im Änderungsentwurf des Rechtsausschusses ersichtlich, hat die Regierung auch einen Vorschlag des Bundesrates zur Geltung des deutschen Strafrechts angenommen. Dieses soll auch für bestimmte im Ausland begangene Taten, etwa Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, ausgeweitet werden. Bisher können für diese Tat nur Personen in Deutschland belangt werden, die zum Tatzeitpunkt Deutsche sind. Künftig sollte dies nach Vorstellung des Bundesrates und der Bundesregierung auch für Personen gelten, die ihre Lebensgrundlage in Deutschland haben.