Anwaltsgeheimnis als essentieller Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit – EGMR
Der EGMR entschied durch Urteil vom 23. Januar 2025 in der Rechtssache Reznik v. Ukraine (Beschwerde-Nr. 31175/14), dass die Durchsuchung des Wohnraums des ukrainischen Rechtsanwalts Mykhaylo Reznik im Hinblick auf das Anwaltsgeheimnis rechtswidrig war.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unterstreicht den Schutz des Anwaltsgeheimnisses als essentiellen Teilaspekt der Rechtsstaatlichkeit. Die Antragsteller, Rechtsanwalt Mykhaylo Reznik und seine Angehörigen, sind ukrainische Staatsangehörige. Die gegenständliche polizeiliche Durchsuchung in der Wohnung der Kläger in Brovary (Ukraine) fand im Rahmen einer Untersuchung des Innenministeriums statt. Bei dieser ging es um verschiedene Straftaten, die angeblich von der Leitung des Informationszentrums (einem staatlich anerkannten Unternehmen für Informationstechnologie) begangen wurden, darunter insbesondere Amtsmissbrauch und Veruntreuung von Geldern. Rechtsanwalt Reznik hatte für das Zentrum juristische Dienstleistungen erbracht. Beschlagnahmt wurden persönliche Speichermedien und Dokumente, die nach Angaben der Antragsteller unter das Anwaltsgeheimnis fallen.
Unter Berufung auf Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) und Art. 13 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie auf Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK rügten die Beschwerdeführer insbesondere, die Durchsuchung und die nicht auf die laufende Untersuchung umgrenzte Beschlagnahme von Material seien rechtswidrig und ungerechtfertigt gewesen. Die ukrainische Regierung sah die Durchsuchung als durch ukrainisches Recht gedeckt und somit gerechtfertigten Eingriff in Art. 8 Abs. 2 EMRK an.
Bei der Feststellung, ob eine Durchsuchung und Beschlagnahme das Kriterium „im Einklang mit dem Gesetz“ erfüllt, hat der EGMR festgestellt, dass sie nicht nur eine Grundlage im innerstaatlichen Recht haben muss. Vielmehr muss ein solches Gesetz zugänglich und vorhersehbar sein und insbesondere auch den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit widerspiegeln. Das heißt, das Gesetz muss spezifische Verfahrensgarantien für einen angemessenen Schutz des Einzelnen vor willkürlichen Eingriffen durch staatliche Behörden vorsehen. Die Regeln und Bedingungen für die Durchführung von Durchsuchungen in den Räumlichkeiten von Rechtsanwälten müssen nach Auffassung des Gerichtshofs im Hinblick auf den Schutz des Anwaltsgeheimnisses einer besonders strengen Prüfung unterzogen werden.
Der EGMR führt in seinem Urteil aus, dass die Durchsuchung unter anderem deshalb nicht den rechtsstaatlichen Standards genügt, weil Reznik lediglich als Rechtsanwalt eines Beschuldigten involviert war, die kaum vorgenommene Eingrenzung des Durchsuchungsbeschlusses sowie die Möglichkeit einer Durchsuchung ohne Beisein des Antragstellers das Recht auf rechtliches Gehör beeinträchtigten (Art. 8 EMRK) und gegen die Durchsuchung keine effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten bestanden (Art. 13 EMRK). Die Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention wurden nur hinsichtlich Rechtsanwalt Reznik angenommen, nicht auch bei den weiteren Antragstellern.
Weiterführende Links:
- Urteil des EGMR (EN) (Januar 2025)
- Pressemitteilung des EGMR (EN) (Januar 2025)