Türkei: Weiterer Angriff auf Anwaltschaft
BRAK kritisiert erneute Verhaftung von Mehmet Pehlivan aufs Schärfste. Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei sind akut gefährdet.
Am 19. Juni 2025 ist der Anwalt des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu, Mehmet Pehlivan, erneut verhaftet worden. Die BRAK hatte das Vorgehen gegen die türkische Anwaltschaft bereits in der Vergangenheit angeprangert.
Im März war İmamoğlu – wenige Tage bevor er seine Kandidatur für die nächste Präsidentschaftswahl im Jahr 2028 ankündigen konnte – aufgrund von Korruptionsvorwürfen inhaftiert worden. Pehlivan war bereits am 27. März 2025 für 24 Stunden auf Grundlage von Regelungen zur Geldwäscheprävention verhaftet worden.
Nun wurde Pehlivan aufgrund der Aussagen zweier Verdächtiger im Stadtverwaltungskorruptionsfall vorgeladen. Die beiden Verdächtigen handelten im Rahmen einer Art „Deal“ („effective remorse“): Sie gaben an, dass Pehlivan in einer kriminellen Struktur agiert habe, wobei er im Sinne der Ziele dieser Organisation die Verteidigung verdächtiger Personen koordiniert habe. Dabei sollen verdächtige Personen auch davon abgehalten worden sein, auszusagen. Ferner soll er u. a. vertrauliche Kommunikation verbreitet haben und verdächtige Personen dazu ermutigt haben, das Land zu verlassen. Pehlivan selbst verweigerte die Aussage, da die aufgrund berufsrechtlicher Regelungen bei Ermittlungen gegen Anwälte im Zusammenhang mit der Berufsausübung erfolgter Handlungen erforderliche Erlaubnis des Justizministeriums gefehlt habe. Daraufhin wurde er wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verhaftet.
Der Richter begründete die Entscheidung mit dem starken, evidenzbasierten Verdacht, dass Pehlivan Mitglied einer kriminellen Organisation sei, was eine schwere Katalogstraftat im Sinne türkischen Strafprozessrechts darstelle. Hinzu träte Fluchtgefahr, Risiko der Beseitigung von Beweismitteln und die Gefahr der Beeinflussung von Zeugen und Verdächtigen, welche sich noch auf der Flucht befänden. Gerichtliche Kontrollmaßnahmen seien in diesem Falle nicht ausreichend.
Dieses Vorgehen wurde in der Anwaltschaft aufgrund rechtsstaatlicher Bedenken massiv kritisiert, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Identifizierung des Anwalts mit seinem Mandanten.
Derzeit steht der gesamte Vorstand der Istanbuler Anwaltskammer wegen behaupteter „terroristischer Propaganda“ und „öffentlicher Verbreitung irreführender Informationen“ vor einem Strafgericht. Die Anwaltskammer hatte in einem Statement zu einer unparteiischen und effizienten Untersuchung der Umstände im Zusammenhang mit dem Tod von zwei kurdischen Journalisten durch türkische Drohnen in Syrien aufgerufen. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) nahm als Prozessbeobachterin an bisher erfolgten Anhörungen teil. Vor dem Strafverfahren war der Vorstand aufgrund derselben Tatsachen in einem Zivilverfahren des Amtes enthoben worden.
Rechtsanwalt André Haug, Vizepräsident der BRAK, ist besorgt:
„Die Rechtsstaatlichkeit und die freie Advokatur sind in der Türkei zunehmend Bedrohungen
ausgesetzt. Allein die Vertretung bestimmter Mandanten kehrt sich hier gegen den Anwalt. Dies ist
untragbar und gefährdet den Berufsstand der türkischen Anwaltschaft massiv! Die europäischen
Anwaltschaften sehe ich in der Pflicht, sich diesen Entwicklungen entgegen zu stellen!“.
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