Weihnachtsbrief

Weihnachtsbrief des BRAK-Präsidenten Dr. Ulrich Wessels

schon wieder ist ein ganzes Jahr regelrecht an uns vorbeigeflogen. Der erste Schnee ist bereits gefallen, in München etwas mehr als in Berlin, und die Gedanken werden zunehmend besinnlicher, denn Weihnachten und der Jahreswechsel stehen vor der Tür. Besonders in dieser Zeit neigt man dazu, noch einmal Revue passieren zu lassen, was das vergangene Jahr mit sich gebracht hat. Zugleich wirft man einen hoffnungsvollen Blick in Richtung des neuen Jahres, das zu keinem Zeitpunkt so voller Möglichkeiten zu stecken scheint, wie zum Jahreswechsel. Gute Vorsätze, große Vorhaben: Zum Jahresbeginn ist noch alles „drin“.

22.12.2023Anwaltschaft
Dr. Ulrich Wessels

BRAK-Präsident RAuN Dr. Ulrich Wessels

Mein Rückblick auf 2023 erfolgt ein wenig mit gemischten Gefühlen. Große Sorgen bereitet mir die Situation in Israel. Das für sich genommen bereits unfassbare Ansinnen der Regierung, mittels eines „Justizumbaus“ faktisch die Gewaltenteilung auszuhebeln, steigerte sich zu dem Plan, die Israel Bar Association abzuschaffen. Gemeinsam machten wir uns mit Anwalts- und Richterverbänden für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort stark, nicht ahnend, dass die Regierungspläne von noch deutlich dramatischeren Ereignissen überschattet werden sollten: Nach der Ukraine haben wir nun einen weiteren Krieg zu beklagen. Ich kann mich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten die vergangenen Jahre besonders viele Krisen mit sich gebracht. Ganz besonders, wenn ich den Blick über den Tellerrand der deutschen Anwaltschaft hinaus schweifen lasse.

Gerade in diesen Zeiten sehe ich allerdings auch Grund zur Dankbarkeit, denn die kleinen rechtspolitischen Kämpfe, die wir hierzulande auszufechten hatten, muten im internationalen Vergleich doch recht harmlos an. Und doch gab es sie: Angriffe auf die Kernwerte der Anwaltschaft. Ganz gleich ob im Rahmen der Geldwäschebekämpfung oder im Steuerrecht, ganz gleich ob – wie zuletzt beim Wachstumschancengesetz – besonders hübsch verpackt: Mit der Verschwiegenheitspflicht kollidierende Meldepflichten für die Anwaltschaft, wo man nur hinsieht. Eine Entwicklung, die Anlass zur Sorge bietet. Was meist in Brüssel als Ergebnis eines Generalverdachts gegenüber der gesamten Anwaltschaft beginnt, pflanzt sich hierzulande mit einer Missachtung anwaltlicher Pflichten fort. Ein Trend, den es aufzuhalten gilt. Mit aller Kraft hat sich die BRAK im vergangenen Jahr im Rahmen unzähliger Stellungnahmen für den Schutz anwaltlicher Kernwerte eingesetzt und wird auch im neuen Jahr nicht müde werden, für dieses hohe Gut einzutreten, das unseren Beruf zu dem macht, was er ist: unabhängig und frei.

Erfolge gab es in 2023 allerdings auch zu verzeichnen. Zumindest der Bundestag hat endlich eine Strafrechtsreform auf den Weg gebracht und auch der Förderung von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit (Stichwort: § 128a ZPO) den Weg geebnet. Sie schien schon beschlossene Sache, die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung, als die Tagesordnung des Bundesrates für den 15.12.2023 uns allen doch nochmals den Atem stocken ließ. Und damit nicht genug: Auch § 128a ZPO stand plötzlich wieder auf der (Bundesrats-)Kippe. Umso größer die Enttäuschung, dass beide so wichtigen Reformen nun in den Vermittlungsausschuss „geschoben“ wurden. Die Dokumentation der Hauptverhandlung sogar ohne eine einzige Wortmeldung. Damit stehen gleich zwei wichtige Punkte für unsere Agenda 2024 fest. Dazu gesellt sich unser dringendes Anliegen nach einer weiteren RVG-Anpassung. Vielleicht wird 2024 dann das Jahr der Reformen? Wir arbeiten dran!

Was 2023 leider ebenfalls mit sich brachte, war ein Rückgang bei den Zulassungszahlen. Was in Prozent (-1,48 %) noch wenig besorgniserregend klingt, sieht in absoluten Zahlen doch schon deutlich bedrohlicher aus: 2.100 weniger Kolleginnen und Kollegen. In Zeiten von Fachkräftemangel und Rückzug aus der Fläche muss man diese Tendenz bereits als alarmierend werten. Umso wichtiger dürfte es werden, endlich die Juristenausbildung grundlegend zu reformieren. Die ersten kleinen Schritte sind in einigen Ländern mit dem integrierten Bachelor und den eExamen auf den Weg gebracht. Nun müssen die großen Schritte folgen. Auch im Bereich der Rechtsanwaltsfachangestellten hat sich die Situation dramatisch zugespitzt. Gemeinsam mit den Kammern und ReNo-Verbänden haben wir erste Initiativen auf den Weg gebracht, die hoffentlich bald Früchte tragen. 2023 hat uns in vielerlei Hinsicht gezeigt, dass wir umdenken müssen. Wir Anwältinnen und Anwälte als Arbeitgeber, als Ausbilder und als Dienstleister.

Bereits umgedacht haben viele von uns beim Thema KI. ChatGPT war und ist in aller Munde, schon im neuen Jahr könnte das Angebot durch Grok noch erweitert werden. Insofern leben wir nicht nur in Zeiten von Krisen, sondern auch in Zeiten des Fortschrittes. Spannend bleiben die rechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI bereits stellen und noch stellen werden. Ebenso wird zu klären sein, welche Bereiche, besonders im öffentlichen Sektor, für den Einsatz von KI geeignet sind. Gerade der Blick in die USA und dem dort eingesetzten System COMPAS (Correctional Offender Management Profiling for Alternative Sanctions) stimmen da derzeit noch nachdenklich.

Das Jahr 2024 hält also viele Herausforderungen und auch Chancen für uns bereit. Lassen Sie uns diese gemeinsam angehen und nutzen!

Bevor wir uns jedoch all diesen Aufgaben widmen, sollten wir die kommenden Feiertage in der stillen Jahreszeit nutzen. Lassen Sie uns Zeit mit unseren Lieben, unseren Familien und Freunden verbringen, Atem und Kraft schöpfen für das neue Jahr und die vor uns liegenden Herausforderungen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien von Herzen eine besinnliche Weihnachtszeit und ein erfolgreiches, von Glück erfülltes und vor allem gesundes Jahr 2024!

Herzlichst Ihr Ulrich Wessels

Zum Hören:

Podcast Glühweinfolge 2023
Podcast Präsi-Woche: RAuN Dr. Ulrich Wessels