BVerfG stärkt die Rechte leiblicher Väter
Der Gesetzgeber muss leiblichen Vätern zumindest ein effektives Recht zur Vaterschaftsanfechtung geben, so das BVerfG in einer Grundsatzentscheidung.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer Grundsatzentscheidung zum Abstammungsrecht die Rechte leiblicher Väter gestärkt und dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben, das Recht zur Anfechtung der Vaterschaft bis zum 30. Juni 2025 neu zu regeln. Die aktuellen Regelungen in § 1600 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BGB schränkten das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unverhältnismäßig ein. Denn danach werde, wenn der leibliche Vater die Stellung des rechtlichen Vaters anficht, der Beziehung des leiblichen Vaters zu seinem Kind nicht hinreichend Rechnung getragen (Urt. v. 09.04.2024, Az. 1 BvR 2017/21).
Dabei kehrt das BVerfG von seiner Entscheidung aus 2003 ab und spricht dem leiblichen Vater stets auch das Elterngrundrecht Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu. Zugleich eröffnet es dem Gesetzgeber die Möglichkeit, sogar mehrere Elternteile - etwa bestehend aus rechtlichem sowie leiblichem Vater und der Mutter des Kindes - zuzulassen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat indes bereits angekündigt, es im Rahmen der geplanten Abstammungsreform bei der Beschränkung auf zwei Elternteile zu belassen. In diesem Fall müsse der Gesetzgeber leiblichen Vätern ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stellen, das ihnen die Erlangung der rechtlichen Vaterschaft ermöglicht, so der Auftrag des BVerfG an den Gesetzgeber.
OLG: Leiblicher Vater hatte keine Chance, rechtlicher Vater zu werden
Beschwerdeführer in diesem Verfahren war der leibliche Vater eines 2020 nichtehelich geborenen Jungen. Die Eltern hatten sich kurz nach der Geburt getrennt. Dennoch pflegte der Vater weiterhin täglich Umgang mit seinem Sohn. Kompliziert wurde es, als die Mutter eine neue Beziehung einging: Der Vaterschaftsanerkennung des leiblichen Vaters stimmte sie nicht zu. Nachdem dieser beim Familiengericht einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft gestallt hatte, erkannte der neue Partner der Mutter die Vaterschaft mit ihrer Zustimmung an und wurde so der rechtliche Vater. Vor Gericht leitete der leibliche Vater daraufhin ein Verfahren zur Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft ein, um selbst auch rechtlicher Vater des Kindes zu werden.
Vor dem Familiengericht hatte er damit noch Erfolg. Zwar ist die Anfechtung gem. § 1600 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen, wenn eine „sozial-familiäre Bindung“ mit dem rechtlichen Vater besteht. Doch das FamG stellte auf den Zeitpunkt nach der Geburt des Kindes ab, als der neue Partner noch keine Rolle spielte. Anders sah es jedoch das OLG Naumburg, welches unter Bezugnahme auf die BGH-Rechtsprechung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellte. Weil zu diesem Zeitpunkt bereits eine Beziehung zum (neuen) rechtlichen Vater bestanden habe, habe das OLG - als Folge der gesetzlichen Regelung - den Antrag des leiblichen Vaters nur abweisen können. Dabei führte der Senat aus, der leibliche Vater habe keine Chance gehabt, die rechtliche Vaterstellung einzunehmen.
BVerfG: Leiblicher Vater ist immer Träger des Elterngrundrechts
Das BVerfG teilte nun die rechtliche Einschätzung des OLG – und sah dies als Hauptgrund, § 1600 Abs. 2 sowie Abs. 3 Satz 1 BGB für verfassungswidrig zu erklären. Das geltende Recht erlaube es nicht, eine bestehende oder vormalige sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater sowie dessen bisherige Bemühungen um die rechtliche Vaterschaft zu berücksichtigen. Stattdessen schließe eine zum maßgeblichen Zeitpunkt bestehende Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater die Erlangung der rechtlichen Vaterschaft durch den nur leiblichen Vater aus. Dies gelte sogar dann, wenn dieser selbst eine sozial-familiäre Beziehung zu seinem Kind hatte bzw. hat oder sich frühzeitig und konstant um die rechtliche Vaterschaft bemüht hat. Auch, wenn die Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater später weggefallen ist, sei dem leiblichen Vater die rechtliche Elternverantwortung praktisch dauerhaft verschlossen. Der leibliche Vater habe insgesamt nur unzureichende Möglichkeiten, durch eigenes Verhalten auf die Voraussetzungen des § 1600 Abs. 2 Alt. 1 BGB Einfluss zu nehmen. Der Erfolg oder Misserfolg eines Anfechtungsantrags sei häufig von Zufällen der zeitlichen Abfolge der Ereignisse, dem Willen der Mutter, den Einwirkungsmöglichkeiten des Jugendamts und der Auslastung der Familiengerichte abhängig. Dies könne so zu einem „Wettlauf“ um die rechtliche Vaterstellung führen. Wegen dieser Wirkungen trage § 1600 Abs. 2 Alt. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB den Anforderungen an das Elterngrundrecht leiblicher Väter nicht hinreichend Rechnung und beeinträchtige dieses unverhältnismäßig.
Anders als in seiner früheren Rechtsprechung gewährte das BVerfG dem leiblichen Vater nun (neben dem rechtlichen Vater) ebenfalls das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Unabhängig von einer fachrechtlichen Zuordnungsregel seien Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG jedenfalls die im herkömmlichen Sinne leiblichen Eltern des Kindes. Gemeint seien damit der Mann und die Frau, die das Kind durch Geschlechtsverkehr mit ihren Keimzellen gezeugt haben (also keine Samenspender), wenn diese Frau anschließend das Kind geboren hat.
Weil das Elterngrundrecht mit Elternverantwortung verknüpft sei, müssten Eltern auch die Möglichkeit erhalten, ihre Verantwortung ausüben zu können. Doch da die rechtliche Vaterschaft Voraussetzung für das Sorgerecht sei, ohne das man die Elternverantwortung nicht wahrnehmen könne, bleibe leiblichen Vätern bei erfolgloser Vaterschaftsanfechtung die Elternverantwortung verwehrt. Daher bedürfe es einer Neuregelung des Rechts der Vaterschaftsanfechtung.
Möglichkeiten für den Gesetzgeber: Zwei Väter wären erlaubt
Anders als noch in seiner früheren Entscheidung (Urt. v. 09.04.2003, Az. 1 BvR 1493/96; 1 BvR 1724/01) erkannte das BVerfG nun explizit die Möglichkeit des Gesetzgebers an, eine Mehrelternschaft – etwa Mutter, leiblicher Vater und rechtlicher Vater nebeneinander - zu erlauben. Damit könne man „sämtlichen Müttern und Vätern im verfassungsrechtlichen Sinne Elternverantwortung“ einräumen. Im Rahmen einer Mehrelternschaft könne der Gesetzgeber allen diesen Elternteilen entweder gleiche Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind einräumen. Alternativ könne er auch die jeweilige Rechtsstellung der Elternteile differenzierend ausgestalten. Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folge aber schon aufgrund seiner Kindeswohlorientierung eine enge Begrenzung der Zahl der Elternteile. Zudem sei eine solche Mehrelternschaft nicht verfassungsrechtlich geboten.
Entscheide sich der Gesetzgeber hingegen dazu, die rechtliche Elternschaft weiterhin auf zwei Personen zu beschränken, sei er gehalten, die Elternschaft grundsätzlich an der Abstammung des Kindes auszurichten. Daher müsse dann dem leiblichen Vater ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm grundsätzlich die Erlangung der rechtlichen Vaterschaft ermögliche und seinem Elterngrundrecht Rechnung trage.
Justizminister Buschmann hat nach dem Urteil angekündigt, an dem Prinzip von maximal zwei Elternteilen festzuhalten. Dabei verwies er auf das im Januar 2024 veröffentlichte Eckpunktepapier zur Reform des Abstammungsrechts. Darin ist bereits geplant, die Rechtsstellung leiblicher Väter zu stärken. Anhängige Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft sollen künftig eine Sperrwirkung für die Anerkennung der rechtlichen Vaterschaft entfalten. Zudem soll die sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater eine Anfechtung nicht mehr kategorisch ausschließen. Ein Gericht soll vielmehr in jedem Einzelfall prüfen, welches Interesse überwiegt: Das des leiblichen Vaters oder das der bisherigen Zuordnung. Vorrang solle im Zweifel aber das Interesse am Erhalt der gelebten Familie haben. Noch in der ersten Hälfte dieses Jahres will das BMJ entsprechende Gesetzentwürfe vorlegen.
Bis zu einer Neuregelung des Anfechtungsrechts gelten die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Regelungen weiter, um bis dahin leiblichen Vätern eine Anfechtung zu ermöglichen, wenn sie diese für erfolgversprechend halten. Ansonsten können sie bei den zuständigen Fachgerichten die Aussetzung bereits eingeleiteter Anfechtungsverfahren bis zu einer Neuregelung beantragen. Diese Möglichkeit steht auch dem Vater in diesem Verfahren zu, dessen Verfahren nun an das OLG Naumburg zurückverwiesen wurde.
Weiterführende Informationen
Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 2017/21)
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum Urteil (1 BvR 2017/21)
Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums zur Abstammungsreform
Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums zur Abstammungsreform
Vaterschaftsanfechtung: BRAK nimmt Stellung zu Verfassungsbeschwerde und Medienecho (Nachrichten aus Berlin, Ausgaben 13 und 20/2023)