RAin Ulrike Paul, Prof. Dr. Christoph Knauer

Mal nachgefragt…

Dokumentation der Hauptverhandlung: Wo liegt das Problem?

21.03.2023Interview

Der Referentenentwurf des BMJ zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG) ist in aller Munde und scheint im wesentlichen Gegenwind zu bekommen. Oder etwa nicht? Stephanie Beyrich, Pressesprecherin der BRAK, hakt bei BRAK-Vizepräsidentin Ulrike Paul und dem Vorsitzenden des BRAK-Ausschusses StPO Prof. Dr. Christoph Knauer nach.

 


  • RAin Ulrike Paul, 3. Vizeprüsidentin der BRAK

    RAin Ulrike Paul, 3. Vizepräsidentin der BRAK

  • Prof. Dr. Christoph Knauer, Vorsitzender des BRAK-Ausschuss StPO

    Prof. Dr. Christoph Knauer, Vorsitzender des BRAK-Ausschuss StPO

Selten war ein Gesetzgebungsvorhaben in den Medien so präsent wie das zur Dokumentation der Hauptverhandlung. Dokumentiert – im allerweitesten Sinne – wird ganz streng genommen bereits jetzt, wenn auch analog durch Protokoll. Was würde sich denn überhaupt ändern?

RAin Paul: Der Ende letzten Jahres vorgelegte Referentenentwurf des BMJ sieht eine wichtige Weiterentwicklung vor, nämlich eine audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung im Strafprozess. Will heißen, die Verhandlung im Strafprozess könnte vollständig aufgezeichnet und transkribiert werden. Letztlich entstünde ein „Skript“ von der Verhandlung, aus dem sich dann ganz klar und eindeutig ergibt, was ein Zeuge gesagt hat oder nicht. Und das ist gut, denn es gibt immer wieder Streit über die Frage, was ein Zeuge wirklich gesagt hat.

Wie steht die Anwaltschaft zu dieser geplanten Dokumentation?

Prof. Dr. Knauer: Wir begrüßen diese Reform nicht nur, wir haben sie seit Jahren mit Nachdruck eingefordert! Insofern muss man sagen: Endlich ist der entsprechende Gesetzentwurf da. Denn bisher wird beim Landes- und Oberlandesgericht kein Wortprotokoll geführt. Insbesondere wird der Inhalt von Zeugenaussagen aktuell nicht protokolliert. Auseinandersetzungen darüber, wer was gesagt hat – oder eben nicht – können damit in Zukunft „endlich“ vermieden werden. Dies führt im Interesse aller Verfahrensbeteiligten zu mehr Transparenz und dient unmittelbar der Wahrheitsfindung. Handschriftliche Notizen der Richter und Richterinnen sind mit einer elektronischen vollumfassenden Aufzeichnung, bei der menschliche Fehler ausgeschlossen sind, nicht vergleichbar. Die BRAK begrüßt den Entwurf, aber auch die anderen Anwaltsverbände oder Strafverteidigervereinigungen.

Also ein klares „Ja, ich will“ der Anwaltschaft. Allerdings liest man recht viel über massive Widerstände aus Teilen der Richterschaft. Warum? Und ist die Kritik am Gesetzentwurf berechtigt?

RAin Paul: Das ist richtig. Kritischer Diskurs ist richtig und wichtig. Teilweise wird seitens der Richter und Richterinnen unter anderem mit Verfahrensverzögerungen argumentiert, die sich aus der Benutzung einer solchen Technik ergeben. Aber: Nicht alle Richter sehen die Dokumentationsbestrebungen kritisch! Ich persönlich kenne durchaus Befürworter aus der Richterschaft. Gerade in Großverfahren mit vielen Verhandlungstagen wird die Dokumentation teilweise auch sehr befürwortet. Außerdem sollte man sich nochmals klar machen: Im Strafverfahren geht es um nichts Geringeres als die Frage, ob ein staatlicher Grundrechtseingriff von erheblicher Tragweite, nämlich schlimmstenfalls eine Gefängnisstrafe, angeordnet wird. Ein gerichtliches Urteil muss daher den Anspruch haben, auf objektiver und transparenter Tatsachengrundlage zu ergehen. Es ist daher unerlässlich, den Verlauf einer Hauptverhandlung in Strafsachen so zu dokumentieren, dass innerhalb des Verfahrens jederzeit nachvollzogen werden kann, welchen Inhalt die Beweisaufnahme hatte. Insofern muss nicht nur für den Angeklagten, sondern für sämtliche Verfahrensbeteiligte die größtmögliche Transparenz geschaffen werden. Es geht nicht um den Arbeitsaufwand bei den Gerichten. Dass die Aufzeichnung und Transkription im Vergleich zur aktuellen Protokollierung zu Verfahrensverzögerungen führen wird, halte ich im Übrigen für unzutreffend. Dies zeigt nicht zuletzt die Arbeit am Internationalen Strafgerichtshof, bei dem sich diese Art der Aufzeichnung bestens bewährt hat.

Prof. Dr. Knauer: Richtig! Woraus sich Verzögerungen ergeben sollen, erschließt sich mir ebenfalls nicht. Zudem darf man nicht vergessen, dass nach dem Gesetzentwurf eine Dokumentation erst ab dem Jahr 2030 verbindlich vorgesehen ist. Im Rahmen einer vorgesehenen Pilotphase bis zum 01.01.2030 können die Länder zunächst eigene Regelungen dazu treffen, ab wann an welchen Gerichten aufgezeichnet wird. Nur für Staatsschutzsenate soll abweichende Regelungen bis zum 01.01.2026 möglich sein. Insgesamt besteht damit aber ein ganz großes Zeitfenster, in dem sich die Länder in Ruhe mit den technischen und organisatorischen Voraussetzungen befassen und diese Herausforderung auch meistern können. Aus meiner Sicht ist das alles durchaus machbar. Wir haben lange auf diese Reform und Modernisierung gewartet. Jetzt muss sie auch umgesetzt werden. Alles andere wäre ein Rückschritt. In vielen Gerichtsbarkeiten wird modernisiert und digitalisiert. Es kann nicht angehen, dass ausgerechnet der Strafprozess mit seiner Eingriffsintensität dabei das Schlusslicht bildet. Wir brauchen die Aufzeichnung und Transkription. Und zwar jetzt!

Ich danke für das aufschlussreiche Gespräch und das Update.