Nachrichten aus Berlin | Ausgabe 12/2024

Zivilprozess: Gesetzentwürfe zu Reformen für Zuständigkeitsstreitwerte und Online-Verfahren

Für zwei wichtige Reformvorhaben im Bereich des Zivilprozesses liegen nunmehr Gesetzentwürfe vor. Die Bundesregierung hat beschlossen, den Zuständigkeitsstreitwert der Amtsgerichte auf 8.000 Euro anzuheben. Und ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums soll die Erprobung von Online-Verfahren bei geringfügigen Streitwerten ermöglichen.

12.06.2024Newsletter

Die Bundesregierung hat am 5.6.2024 beschlossen, die Streitwertgrenze, bis zu der die Amtsgerichte für zivilrechtliche Streitigkeiten zuständig sind, von derzeit 5.000 Euro auf 8.000 Euro anzuheben. Darüber hinaus sollen manche Sachgebiete streitwertunabhängig an die Amts- und an die Landgerichte zugewiesen werden. Ziel des Vorhabens ist es, wieder mehr Zivilverfahren vor die Amtsgerichte zu bringen und so die Ziviljustiz vor allem in der Fläche zu stärken.

Die BRAK hatte sich vor allem wegen der Auswirkungen auf Rechtssuchende und die Anwaltschaft kritisch zu dem Vorhaben geäußert. In ihrer Stellungnahme zu dem im März vorgelegten Referentenentwurf hatte sie unter anderem auf die nachteiligen Auswirkungen in Prozesskosten- und Beratungshilfesachen und auf die richterliche Rechtsfortbildung durch die Oberlandesgerichte hingewiesen, bei denen durch die Umverlagerung rund 20 % der Verfahren wegbrächen. Scharf kritisiert hatte die BRAK, dass in der Entwurfsbegründung mit dem Einspareffekt von Anwaltskosten geworben werde – die Rolle der Anwaltschaft beim Zugang zum Recht dürfe nicht auf einen bloßen Kostenfaktor reduziert werden.

Die BRAK wird den Regierungsentwurf eingehend prüfen und sich auch in das weitere Gesetzgebungsverfahren kritisch einbringen.

Zu dem im Vorfeld intensiv diskutierten Vorhaben des Bundesjustizministeriums, die Erprobung eines schnellen Online-Verfahrens für zivilrechtliche Streitigkeiten mit geringen Streitwerten zu ermöglichen, hat das Ministerium ebenfalls Anfang Juni einen Referentenentwurf vorgelegt. Derzeit arbeiten acht Länder und elf Pilotgerichte an einem Prototypen für Umsetzung eines solchen Online-Verfahrens. Für die Erprobung im Echtbetrieb bedarf es eines gesetzlichen Rahmens (Erprobungsgesetzgebung), der mit dem Referentenentwurf geschaffen werden soll. Ziel ist es, den Zugang zur Justiz erleichtern und zugleich die Arbeit an den Gerichten u. a. durch eine strukturierte Erfassung des Prozessstoffs und technische Unterstützungswerkzeuge effizienter gestalten.

Anwendbar sein soll das Online-Verfahren für zivilrechtliche Verfahren bis zu einem Streitwert von 5.000 Euro; diese Grenze würde sich auf 8.000 Euro erhöhen, falls die von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts Gesetz wird.

Der Entwurf setzt auf bundeseinheitliche digitale Eingabesysteme und Plattformlösungen, über die Klagen digital eingereicht werden können. Für beides ist eine Identifizierung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten über das besondere elektronische Anwaltspostfach vorgesehen. Für Rechtsuchende soll das Online-Verfahren optional sein.

Der Entwurf ermöglicht außerdem verfahrensleitende Maßnahmen der Gerichte, wonach dass der Streitstoff unter Nutzung von elektronischen Dokumenten oder digitalen Eingabesystemen zu strukturieren ist. Dies gilt insbesondere für Massenverfahren. Für Ansprüche auf Fluggast-Entschädigungen soll die Nutzung von digitalen Eingabesystemen verpflichtend werden. Der Sachvortrag der Parteien soll hierdurch jedoch in keinem Fall beschnitten werden.

Außerdem enthält der Entwurf Regelungen zur Ausgestaltung des Online-Verfahrens und zur Einführung einer Kommunikationsplattform. Die Erprobung des Online-Verfahrens wird auf einen Zeitraum von zehn Jahren ausgelegt.

Die BRAK wird sich auch hier in das weitere Gesetzgebungsverfahren aktiv einbringen.

Mit Reformansätzen für den Zivilprozess befassten sich auch die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs bei ihrer 76. Jahrestagung vom 6.-8.5.2024 in München. Ihre wesentlichen Überlegungen legten sie in den „Münchener Thesen zum Zivilprozess der Zukunft“ nieder, in denen es um Fragen des Zugangs zum Recht, die Qualität und Effizienz der Rechtsprechung und die Besonderheiten wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten geht.

Dabei spielt Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Unter anderem wollen die Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten den elektronischen Rechtsverkehr perspektivisch durch eine bundeseinheitliche, cloudbasierte Plattform ersetzen, deren Nutzung für professionelle Beteiligte verpflichtend sein soll. Daneben soll ein bundeseinheitliches Justizportal geschaffen werden, das zunächst als informative zentrale Online-Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger fungiert.

Zudem sprechen sie sich für die Einführung eines Online-Verfahrens im niedrigschwelligen Bereich aus, um Massenverfahren besser begegnen zu können. Die Einführung eines automatisierten Vorentscheidungsverfahrens im Sinne eines erweiterten Mahnverfahrens (sog. „Nullte Instanz“) lehnen sie jedoch ab. Weitere Thesen betreffen die Strukturierung und Begrenzung des Parteivortrags, die kollektive Durchführung von Massenverfahren sowie die Erhaltung und Stärkung der Kammern für Handelssachen. Insoweit werden die wesentlichen Eckpunkte des Justizstandort-Stärkungsgesetzes begrüßt, mit dem Commercial-Courts und Commercial Chambers für große wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten eingerichtet werden sollen.

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