Nachrichten aus Berlin | Ausgabe 5/2024

BRAK hält zu weit gefasste polizeiliche Befugnis im Gefahrenvorfeld für verfassungswidrig

Weitreichende Eingriffsbefugnisse der Polizei, bereits bevor eine konkrete Gefahr für Rechtsgüter entstanden ist, hält die BRAK für verfassungsrechtlich problematisch. Das hat sie in einer Stellungnahme zu mehreren beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren zur Überprüfung einer Befugnisnorm im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz erklärt.

06.03.2024Newsletter

Auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat die BRAK sich mit einer Stellungnahme zu mehreren Verfahren geäußert, die Regelungen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (BayPAG) betreffen. Dabei handelt es sich um ein unter anderem von Abgeordneten des Deutschen Bundestages angestrengtes Normenkontrollverfahren sowie um zwei Verfassungsbeschwerden.

Die Stellungnahme konzentriert sich auf den jetzigen Art. 11a BayPAG (früher Art. 11 III BayPAG), der eine allgemeine Eingriffsbefugnis wegen einer „drohenden Gefahr“ schafft. Diese Vorschrift begegnet nach Ansicht der BRAK durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Ein Eingriff erfordere eine hinreichend konkretisierte Gefahr in dem Sinne, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter bestehen. Daraus muss aber zumindest der Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen möglich sein und zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann. Ein Eingriff im Vorfeldstadium ist dagegen verfassungsrechtlich angesichts der Schwere des Eingriffs nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen.

Nach Ansicht der BRAK sind zwar Gefahrerforschungseingriffe eher unbedenklich. Dagegen befürchtet sie eine Entgrenzung staatlicher Polizeibefugnisse, wenn nicht bereichsspezifische und auf die Abwehr systemischer Gefahren beschränkte, aber zugleich weitreichender Befugnisnormen im Gefahrenvorfeld geschaffen werden. Art. 11a BayPAG ist aus ihrer Sicht sprachlich verunglückt und genügt nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen der Bestimmtheit von Normen (Art. 20 III GG). Die Befugnisnorm lasse nicht erkennen, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird, so dass sich die Normunterworfenen mit ihrem Verhalten auch nicht darauf einstellen können.

Auch unter weiteren Gesichtspunkten äußert die BRAK durchgreifende verfassungsrechtliche Zweifel an Art. 11a BayPAG. Diese führt sie im Detail in ihrer Stellungnahme aus.

Die Verfahren sind beim BVerfG unter den Aktenzeichen 1 BvF 1/18, 1 BvR 2271/18 und 1 BvR 506/19 anhängig.

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Hintergrund:

Gutachten auf Anfrage von an der Gesetzgebung beteiligten Behörde oder von Bundesgerichten zu erstatten zählt nach § 177 II Nr. 5 BRAO zu den gesetzlichen Aufgaben der BRAK. Sie nimmt aufgrund dessen regelmäßig zu verfassungsgerichtlichen Verfahren Stellung. Deren Vorbereitung besorgt der Ausschuss Verfassungsrecht der BRAK. Einen Einblick in dessen Arbeit geben Prof. Dr. Christian Kirchberg und Dr. h.c. Gerhard Strate in BRAK-Magazin 4/2023, 6.