Digitalisierung

BRAK-Vizepräsidentin: Online-Verfahren darf Verfahrensgrundsätze nicht opfern

Mit dem geplanten schnellen Online-Verfahren für geringfügige Streitwerte befasste sich Mitte Oktober der Rechtsausschuss des Bundestags. BRAK-Vizepräsidentin Sabine Fuhrmann wies als Sachverständige auf erheblichen Nachbesserungsbedarf hin, damit Digitalisierung nicht auf Kosten eines fairen Verfahrens gehe.

03.11.2025Gesetzgebung

Streitigkeiten mit geringen Streitwerten sollen künftig in einem schnellen Online-Verfahren durchgesetzt werden können. Dies sieht der vom Bundeskabinett Mitte Juli beschlossene Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit vor. Das Verfahren soll in einem neuen 12. Buch der Zivilprozessordnung geregelt werden und nur für Geldforderungen gelten, die vor den Amtsgerichten geltend gemacht werden können. Für die Verfahrenskommunikation soll eine bundeseinheitliche digitale Plattform geschaffen werden, in die auch die bereits bestehende Infrastruktur des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) integriert werden soll.

Mit dem Gesetzentwurf befasste sich am 15.10.2025 der Rechtsausschuss des Bundestags in einer öffentlichen Anhörung, in der BRAK-Vizepräsidentin Sabine Fuhrmann als Sachverständige auftrat. Fuhrmann betonte, dass die BRAK das Vorhaben grundsätzlich unterstütze und von Anfang an konstruktiv begleitet habe; jedoch sehe sie an entscheidenden Stellen erheblichen Nachbesserungsbedarf.

Recht auf mündliche Verhandlung wahren

Fuhrmann warnte davor, dass nach dem Gesetzentwurf die mündliche Verhandlung zur Ausnahme wird. Beklagte würden ohne ihr Zutun in das Online-Verfahren hineingezogen, könnten sich ihm nicht einseitig entziehen und hätten keine Möglichkeit, auf einem analogen Verfahren zu bestehen. Das treffe sie besonders hart, zumal das Online-Verfahren voraussichtlich künftig bei Streitwerten bis zu 10.000 Euro möglich sein soll. Sie forderte daher, das Recht auf mündliche Verhandlung zu wahren, zumindest wenn eine Partei dies wünscht.

Zu knappe Frist vor Versäumnisurteil

Besonders problematisch ist aus Fuhrmanns Sicht die geplante Regelung zum Versäumnisurteil. Danach kann eine beklagte Partei automatisiert verurteilt werden, wenn sie nicht innerhalb von zwei Wochen eine Verteidigungsanzeige abgibt. Die zweiwöchige Frist sei viel zu kurz, denn viele Beklagte müssten sich zunächst noch anwaltliche Unterstützung suchen. Nicht alle Beklagten seien digital versiert und können sich ohne Unterstützung auf der Kommunikationsplattform identifizieren. Daher sieht Fuhrmann die Gefahr einer verfahrensverkürzenden Automatisierung auf Kosten prozessualer Fairness.

Abkehr von Darlegungsgrundsätzen

Der Entwurf sieht vor, dass das Gericht Auskünfte aus allgemein zugänglichen Quellen abrufen und offenkundige Tatsachen in den Prozess einbringen kann, auch wenn die Parteien diese nicht vorgebracht haben. Fuhrmann wies auf die im Zivilprozess geltende Dispositionsmaxime hin. Danach bestimmen die Parteien selbst, welche Tatsachen sie vortragen; das Gericht ist hieran gebunden. Dass der Gesetzentwurf dies durch eine richterliche Recherchepflicht ersetzen will, hält die BRAK für höchst problematisch.

Problematische Zustellungsfiktion

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Zeitpunkt des Abrufs eines Dokuments aus der Kommunikationsplattform automatisch bestätigt wird; es gilt dann nach vier Tagen als zugestellt. Diese Zustellungsfiktion gefährdet, wie Fuhrmann ausführte, die ordnungsgemäße Prozessführung und gehe an der in Kanzleien üblichen Arbeitsteilung vorbei. Denn in der Regel werde der Abruf durch Mitarbeitende in der Kanzlei erfolgen; das bedeute nicht, dass die Rechtsanwältin und der Rechtsanwalt das Dokument zur Kenntnis genommen haben. Vier Tage sind, so Fuhrmann, zu kurz, wenn nicht sicher sei, dass der bearbeitende Berufsträger das Dokument tatsächlich zur Kenntnis genommen habe.

Technische Umsetzung mit der Anwaltschaft

Positiv hob Fuhrmann hervor, dass die BRAK bereits in der technischen Arbeitsgruppe mitarbeite, um das bewährte beA-System – so wie im Gesetzentwurf vorgesehen – in die Plattform zu integrieren. Die in Kanzleien eingesetzte Kanzleisoftware müsse über entsprechende Schnittstellen angebunden bleiben. Wichtig sei, dass auch Online-Verfahren muss die qualifizierte elektronische Signatur für anwaltliche Schriftsätze möglich bleibe.

Keine Digitalisierung auf Kosten der Verfahrensgerechtigkeit

Abschließend betonte Fuhrmann: Digitalisierung dürfe nicht auf Kosten der Verfahrensgerechtigkeit gehen, daher müsse das Online-Verfahren die bewährten Prozessmaximen des Zivilprozesses – Unmittelbarkeit, Parteiherrschaft, rechtliches Gehör – gleichwertig abbilden. Der Zugang zum Recht müsse genauso effektiv gewährleistet sein wie im analogen Verfahren; er dürfe nicht der technischen Effizienz geopfert werden.

Die Anwaltschaft werde das Online-Verfahren in der Praxis begleiten und mit großer Wahrscheinlichkeit am Anfang die größte Nutzergruppe stellen. Eine Nachjustierung entsprechend der in ihrer schriftlichen Stellungnahme vorgebrachten konkreten Vorschläge hält sie deshalb für unerlässlich.

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Erstveröffentlichung am 30.10.2025