Nachrichten aus Berlin | Ausgabe 19/2023

BFH: In Videoverhandlung müssen alle Richterinnen und Richter sichtbar sein

Wird die mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchgeführt, müssen die Kameraeinstellungen so gewählt werden, dass alle beteiligten Richterinnen und Richter zu sehen sind. Geschieht dies nicht, ist das verfassungsmäßige Recht der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter verletzt. Das hat der Bundesfinanzhof in einem aktuellen Beschluss entschieden.

21.09.2023Newsletter

Die Digitalisierung der Justiz und insbesondere die Durchführung mündlicher Verhandlungen per Videokonferenz sind derzeit Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion. Derzeit läuft dazu auch ein Gesetzgebungsverfahren, das den Einsatz von Videokonferenztechnik in den Zivil- und Fachgerichtsbarkeiten fördern soll.

In einer aktuellen Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun eine wichtige Anforderung an die Durchführung von Videoverhandlungen festgehalten. Den Anlass dafür gab ein vor dem Finanzgericht Münster geführter Rechtsstreit um die steuerliche Einordnung von Einkünften, die ein gemeinnütziger Träger aus der Vermietung von Räumen an andere gemeinnützige Vereine hatte. Die mündliche Verhandlung fand per Videokonferenz statt. Die Kamera war dabei so eingestellt, dass während etwa zwei Dritteln der Verhandlung lediglich der Vorsitzende Richter des Senats zu sehen war; die anderen Richter waren selbst dann nicht zu sehen, wenn sie gerade sprachen.

Der Kläger unterlag in der Sache und legte Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH ein. Darin brachte er vor, er sei in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, weil er das Verhalten der übrigen Richter nicht habe beobachten und einer finalen rechtlichen Analyse unterziehen können.

Der BFH entschied, dass bei einer Videokonferenz für die Beteiligten während der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung nach § 91a I FGO ‑ ähnlich wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal ‑ feststellbar sein muss, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der Videokonferenz für die lediglich zugeschalteten Beteiligten sichtbar sind. Daran fehle es jedenfalls dann, wenn für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen ist.

In der Begründung seiner Entscheidung zog der BFH nicht nur das geltende Recht heran, sondern ging auch darauf ein, dass der Gesetzgeber auf einen verstärkten Einsatz von Videokonferenztechnik zielt. In der Begründung des Entwurfs für ein Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik wird ausdrücklich erwähnt, dass jeder Verfahrensbeteiligte und das Gericht die Möglichkeit haben muss, alle anderen Verfahrensbeteiligten und die Mitglieder des Gerichts zu jedem Zeitpunkt der Verhandlung sowohl visuell als auch akustisch wahrzunehmen. Dieselben Maßstäbe legt der BFH auch bereits für das geltende Recht an.

Weiterführende Links: