Anti-SLAPP-Richtlinie

EU erzielt Einigung im Kampf gegen missbräuchliche Klagen

Im Trilog zur geplanten Anti-SLAPP-Richtlinie wurde eine Einigung erzielt: Verfahrensgarantien und Schutzmaßnahmen sollen Betroffenen künftig helfen.

11.12.2023Rechtsprechung

Menschen, die sich für die Zivilgesellschaft engagierten, sollen besser vor strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP-Klagen bzw. Strategic Lawsuits Against Public Participation; engl. slap = Ohrfeige) geschützt werden. Das ist das Ziel eines Vorhabens der EU. Am 30. November 2023 haben Unterhändler des Europäischen Parlaments und des Rates in den Trilog-Verhandlungen eine vorläufige politische Einigung über eine EU-Richtlinie erzielt, die vor solchen Klagen schützen soll.

Mit der Richtlinie sollen Verfahrensgarantien und Schutzmaßnahmen bei zivilen SLAPP-Klagen mit grenzüberschreitendem Bezug eingeführt werden. Der federführende Europaabgeordnete Tiemo Wölken (S&D, Deutschland) fasste die Verhandlungsergebnisse auf X/Twitter folgendermaßen zusammen: „Es ist uns gelungen, eine Definition für grenzüberschreitende Fälle, eine beschleunigte Behandlung wichtiger Verfahrensgarantien, flankierende Unterstützungsmaßnahmen zur Unterstützung, Datenerfassung sowie Kostenerstattung aufzunehmen!“ Die endgültige Einigung soll einen Großteil des Parlamentstextes beibehalten.

    Was sieht die aktuelle Einigung auf einen Richtlinienentwurf vor?

    Personen, gegen die SLAPP-Klagen gerichtet sind, sollen ein Gericht künftig ersuchen können:

    • eine Klage zum frühestmöglichen Zeitpunkt abzuweisen, wenn eine Klage als offensichtlich unbegründet betrachtet wird. Hier soll es eine Beweislastumkehr geben: Die Beklagten sollen eine solche vorzeitige Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen beantragen können. Dann sollen die SLAPP-Initiatoren beweisen müssen, dass ihre Klage nicht offensichtlich unbegründet ist. Von den Gerichten wird zudem erwartet, dass sie solche Anträge zügig bearbeiten.  
    • von der Person oder dem Unternehmen, die bzw. das die Klage angestrengt hat, eine finanzielle Sicherheit zur Deckung der Verfahrenskosten zu verlangen;
    • zu entscheiden, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens, einschließlich denen für die Rechtsverteidigung, zu tragen hat. Wenn es das nationale Recht nicht zulässt, dass diese Kosten vollständig vom Kläger getragen werden, sollen die EU-Regierungen sicherstellen müssen, dass sie vom Staat übernommen werden, sofern sie nicht übermäßig hoch sind. Auch sollen die Mitgliedstaaten Prozesskostenhilfe in grenzüberschreitenden Zivilverfahren gewähren müssen.
    • abschreckende Sanktionen oder andere gleichermaßen wirksame Maßnahmen gegen die Partei, die das SLAPP-Verfahren angestrengt hat, zu verhängen;
    • Betroffenen eine Entschädigung zuzusprechen.

    Außerdem wurden weitere Maßnahmen zum Schutz von SLAPP-Betroffenen beschlossen:

    • Die EU-Länder werden auch dafür sorgen müssen, dass Urteile aus außereuropäischen Ländern in offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Verfahren gegen Personen oder Institutionen mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet nicht anerkannt werden.
    • Um die Opfer von SLAPP-Klagen weiter zu unterstützen, sollen die Mitgliedstaaten zudem eine zentrale Anlaufstelle zur Verfügung stellen müssen, die über Verfahrensgarantien und Rechtsbehelfe informiert. Auch finanzielle Unterstützung, Rechtsbeistand und psychologischer Hilfe sollen hier angeboten werden können.
    • Rechtskräftige SLAPP-Urteile sollen künftig in einem leicht zugänglichen, elektronischen Format veröffentlicht werden müssen.
    • Um das Ausmaß des Phänomens besser erfassen zu können, sollen die Mitgliedstaaten ferner bestimmte bei den Gerichten verfügbare Informationen zu SLAPP-Klagen sammeln müssen.
    • Ferner sollen auch Dritte wie Gewerkschaften, NGOs und anderen Parteien mit berechtigtem Interesse an der Unterstützung von Angeklagten sind während des Verfahrens beteiligen können.

    Definition für „grenzüberschreitende“ Sachverhalte

    Die Definition der „Grenzüberschreitung“ ist die Voraussetzung dafür, dass ein Rechtsstreit in die Zuständigkeit der EU fällt und die Richtlinie Anwendung finden. Der Rat und das Europäische Parlament haben auch eine Einigung erzielt: Danach soll eine Klage grundsätzlich als eine solche mit grenzüberschreitendem Bezug gelten - es sei denn, beide Parteien haben ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat wie das angerufene Gericht und alle anderen Elemente des Sachverhalts befinden sich ebenfalls in diesem Mitgliedstaat. Hier wurde weitestgehend der weite Parlamentstext beibehalten. Versuchen, den Anwendungsbereich enger zu gestalten, indem Klagende und Beklagte in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sein müssten, wurde eine Absage erteilt.

    Weil die EU keine Gesetzgebungskompetenz für die Gestaltung von Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten, können hier nur die Nationalstaaten freiwillig eigene Regelungen schaffen. Hierzu hatte die Kommission ergänzend zu ihrem Entwurf bereits eine unverbindliche Aufforderung an die Mitgliedstaaten verfasst: Sie sollten den nationale Rechtsrahmen ähnlich jenem auf EU-Ebene anpassen, um auch bei nicht grenzüberschreitenden Sachverhalten gegen SLAPP-Klagen vorzugehen. Hierzu hatte die BRAK auf Anfrage des Bundesministeriums der Justiz kritisch Stellung genommen und die Empfehlung auch an den deutschen Gesetzgeber grundsätzlich begrüßt. Die Bundesregierung hat zumindest bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, europaweite Maßnahmen gegen SLAPPs zu unterstützen.

    Außerdem hat die EU-Kommission die Mitgliedstaaten in der Empfehlung u.a. dazu aufgerufen, Schulungen für Angehörige der Rechtsberufe und potenzielle Opfer von SLAPP-Klagen anzubieten sowie Sensibilisierungs- und Informationskampagnen durchzuführen, um SLAPP-Klagen besser erkennen zu können.

      Wie geht es weiter?

      Der Entwurf muss nun noch von den Vertretern der Mitgliedstaaten im Rat gebilligt werden. Anschließend muss er vom Rat und vom Europäischen Parlament förmlich angenommen werden. Anschließend werden die Rechtsvorschriften zwanzig Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Die Mitgliedstaaten werden zwei Jahre Zeit haben, um die Rechtsvorschriften in nationales Recht umzusetzen.

      Weiterführende Links:

      Stellungnahme der BRAK Nr. 50/2022 (Dezember 2022)
      Stellungnahme der BRAK Nr. 16 (April 2022)
      Empfehlung der Kommission (April 2022)
      Richtlinienvorschlag der Kommission (April 2022)
      Siehe hierzu auch Nachrichten aus Brüssel 14/2023, 13/2023, 12/2023, 08/2022, 22/2021, 19/2021

        Hintergrund zu SLAPP

        SLAPP-Klagen sind unbegründeten Klagen oder rechtsmissbräuchliche Klagen, die zu dem Zweck erhoben werden, Kritikerinnen und Kritiker - insbesondere aus dem Journalismus, Umwelt- und Menschenrechtsaktivismus, Kunst oder der Wissenschaft - einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik durch die kostenintensive und zermürbende Rechtsverteidigung zu unterbinden. Diese Klagen werden üblicherweise von einflussreichen Einzelpersonen, Lobbygruppen, Unternehmen und staatlichen Organen angestrengt.

        Eine bekannte SLAPP-Betroffene war die ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia. Sie hatte 2017 zu Korruption im Zusammenhang mit einem Vertrag für ein Kraftwerk und Verbindungen in die höchste Ebene der Politik recherchiert. Nach Angaben der EU-Kommission liefen gegen sie zuletzt 47 Klagen. Die Richtlinie wird deshalb auch „Daphne’s Law“ genannt.

        In der jüngeren Vergangenheit haben solche SLAPP-Klagen immer weiter zugenommen: Laut einem Bericht von August 2023 wurden im Jahr 2022 in Europa 161 missbräuchliche Klagen eingereicht – der höchste je gemessene Jahreswert. Unter anderem das Europäische Parlament setzt sich wegen dieses zunehmenden Phänomens bereits seit 2018 für mehr Schutz vor SLAPPs ein. Die Europäische Kommission hat im April 2022 einen ersten Vorschlag vorgelegt. Die EU-Staaten hatten den ursprünglichen Vorschlag in ihrem Entwurf abgemildert. Das Europa-Parlament forderte dagegen strengere Maßnahmen.